Seelentor New Arrival

Ich hätte Celine ja angeboten meine Schuhe zu nehmen, aber zum einen saßen die wie maßgeschneidert, zum anderen würde das nur mir Probleme bereiten. Besser wir gingen einfach langsam, ein Stück neben dem Weg. Die Berührung ließ ich erst geschehen, zuckte aber bei dem Wort 'Narben' deutlich zusammen – und drehte mich dann irritiert zu ihr, weil beides zusammen keinen Sinn machte. „Narben? Ich hab... ich habe dort keine Narben.“ Ausrutscher, implizierend dass woanders welche waren. Aber ich wagte es nicht die Handschuhe auszuziehen und nachzuschauen. Auf meinen Rücken sehen konnte ich auch nicht, so seltsam wie Celine sich verhielt schenkte ich dem Geschehen wenig Beachtung. „Also... Ray?“ Kein ansprechen dieser anderen, einfach nur eine Frage, offen lassend wie viel sie erzählen wollte.

Still schaute ich ihm in die Augen. Meine wirkten eher trüb, dafür konnte man sich in ihnen verirren wenn man nicht aufpasste. Irgendein Idiot hatte mal gesagt, das ein Blick in meine Augen jemanden die Seele aussaugen konnte. Natürlich war so etwas noch nie passiert. Ich wollte etwas erwidern, ihm erklären das er dort wirklich Narben hatte, doch dann erinnerte ich mich daran, dass es vielleicht zu Streitigkeiten führten würde und somit Ray die Chance bot. Also blieb ich still und sprach das Thema nicht an. "Die Andere.", murmelte ich sanft auf seine Frage. "Krankheit. Identitätsstörung. Sagt der Arzt." Wirklich in Worte fassen konnte ich es nicht, schüttelte leicht den Kopf und wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er musste nur wissen, das ich nicht Ray war. Niemals. Dann überholte ich ihn, nur um leicht aufzuzucken und etwas blass auf meine Füße zu starren. Das Gras färbte sich leicht rot, aber dank dem kurzen Schock spürte ich keinen Schmerz. Ein spitzer Stein? Kopf schüttelnd setzte ich den Weg vor, ehe ich anfing langsam zu Humpeln und einen gut sichtbare Spur hinter mir her zu ziehen.

Wo ihre Augen etwas hineinzogen, waren meine eindringend, zu grelles blau das bis ins tiefste blicken könnte, voller Energie und Drang nach Freiheit. Ihr Schweigen bestätigte nur meine Ansicht das da nichts mit Narben war, sie nichts wissen konnte. Kaum verständlich ihre halbe Erklärung, Wiederwille deutlich. Ich seufzte nur, drängte sie nicht weiter, folgte. Von ihrer Verletzung bekam ich zuerst gar nichts mit, Blick die meiste Zeit mehr ringsum gerichtet, immer wieder gen Himmel schweifend. Und auch als ich ihr humpeln mitbekam wusste ich nicht wie es anzusprechen war, deutete letztlich auf eine Baumgruppe ein Stück voraus. „Machen wir da eine Pause?“

Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, dass es nichts brachte zu weinen oder zu schreien wenn etwas weh tat und dank Ray war meine Schmerzempfindlichkeit deutlich geringer. Dennoch merkte ich deutlich wie mein Fuß nicht mehr wirklich mitspielen wollte, weshalb ich mich bei seiner Frage kurz umdrehte und ihm zustimmend zu nickte. An der Baumgruppe selbst angekommen, setzte ich mich im Schneidersitz ins Grass, meinen Fuß betrachtend. Sie Sohle war komplett rötlich gefärbt und ein schwarzer Stein steckte in der Mitte, erschwerte das Laufen aber verhinderte auch gleichzeitig das ich mehr blutete als ohnehin schon. Sanft versuchte ich den Stein herauszuziehen, doch ich gab sofort auf, als der Schmerz dabei intensiver wurde. Mit leerem Blick starrte ich den Fuß an, überlegte wie ich ihn am besten verbinden konnte, damit ich zumindest bis zum nächsten Dorf laufen und einen Arzt aufsuchen konnte. Mit einer Betäubung würde Ray sicher nicht die Kontrolle gewinnen, bis dahin würde ich es schon aushalten. Unfähig mir einen Plan auszudenken, schüttelte ich den Kopf. Mich auf die Beine hievend schaute ich kurz zu Bo. "Können weiter."

Wie ihr Fuß aussah lies sich kaum übersehen, doch ich konnte beim besten Willen keinen Weg finden dass höflich anzusprechen. Nicht wenn sie mir anscheinend nicht mal genug vertraute zuzugeben dass etwas wehtat. „Magst du nicht etwas essen?“ fragte ich vorsichtig, hatte den Beutel abgestellt und mir einen Apfel genommen. Zehn Meilen konnten weit sein. Selbst wenn es nur ein Vorwand war damit sie länger eine Pause machte, irgendwas musste ich doch tun. Zum Verbinden war hier nichts entbehrliches und zurück zum Hof wollten wir wohl beide nicht.

In der Bewegung pausierend, schaute ich kurz zu Bo, dann zu dem Korb, ehe ich näher kam und mich vor dem Korb seitlich hinsetzte. So war der Fuß nicht weiter belastet und ich konnte mir in Ruhe ebenfalls einen Apfel nehmen. Ihn kurz anschauend, biss ich hinein. Wer wusste schon wann ich wieder etwas zuessen bekam, meine Tasche wo ich das Mittagessen für die Arbeit herein gelegt hatte, hatte es wohl nicht mit hierher geschafft. "Danke", murmelte ich kurz, musste er schließlich nicht mit mir teilen, hatte die alte Dame doch explizit ihm das Essen mitgegeben gehabt. Doch je länger ich sitzen blieb desto mehr begann mein Fuß zu pochen, der Schmerz wurde grausamer und ein Hauch von Furcht durchdrang mich. "Nein...nicht...", Ich hielt mir den Kopf, flehte mit leicht zittriger Stimme, doch plötzlich flackerten meine Augen und übrig blieb ein kräftiges Rot.

Ray schaute sich kurz um, betrachtete Bo und bemerkte dann den Splitter in meinem Fuß. "Nichts kriegt sie alleine hin.", seufzte Ray, griff an meinen Fuß und zog ohne mit der Wimper zu zucken den Splitter heraus. Blut spritzte ins Gras. Doch bevor es schlimmer werden konnte, hatte Ray bereits einen Teil des rechten Ärmels meines Kleidchens abgerissen und verband die Wunde feste zusammen. Ein weiteres Stück wurde abgerissen und instinktiv band sie meine langen Haare zu einem Zopf zusammen. Ich mochte meine Haare lieber offen, doch Ray war eindeutig der Meinung das Zöpfe ansprechender aussahen. Die blutroten Augen starrten schließlich in die von Bo, ehe sie schmunzelte. "Diese Welt ist faszinierend. Als wollte sie mir eine Chance geben..." Sie nahm sich etwas von dem Brot und biss hinein, nachdem sich sich kurzerhand das Blut an den Händen am Gras abgewischt hatte. "Lass uns weitergehen. Ich hab keine Lust die Nacht hier draußen zu verbringen. Wer weiß ob es wilde Tiere oder sowas gibt." Ray war deutlich sozialer und brachte sich mehr ein. Sie hüpfte auf die Beine und ohne zu humpeln folgte sie dem Weg weiter, sich mit einem Schulterblick vergewissernd das Bo folgte.

Mir wäre gar nicht in den Sinn gekommen das Essen für mich zu behalten, hätte die Situation doch leicht umgekehrt sein können. Und alles was aufgebraucht wurde musste ich nicht länger tragen. Irgendwie waren wir in dieser Sache doch zusammen, sei es auch nur aufgrund eines Zufalls. Aber es verband gemeinsam ins unbekannte zu ziehen. Seltsamer war ihr wechseln, merkte ich den Zusammenhang mit ihrer Augenfarbe – kümmern tat es mich aber weniger, konnte ja nicht ahnen wie schlecht ihr Verhältnis war.
Stattdessen nickte ich Ray leicht zu, aß meine Frucht weiter. Angesichts dessen, dass sie sich einen Körper teilten, sparte ich es mir ihr auch etwas anzubieten, war nur froh über ihr Kenntnis mit Verletzungen. Unbeirrt erwiderte ich ihren Blick. Besser wohl wenn wir weiter gingen. Den improvisierten Rucksack wieder schulternd folgte ich ihr. „Bekommst du mit was dazwischen passiert oder muss ich Erklärungen vorbereiten?“ fragte ich nur pragmatisch. Dann hatte sie eben zwei Persönlichkeiten. Meine Masken für gehobene Gesellschaft waren kaum besser.

Sich nochmals zu Bo umdrehend, blickte Ray ihn eine Zeitlang an, ehe sie seufzte. "Celine schon, ich nicht.", antwortete sie schlicht auf seine Frage. "Mit der Zeit lernt man sich anzupassen. Ihr seid auf dem Weg zu einer Siedlung oder so?", sie deutete auf den Feldweg. Vielleicht lag es daran das Bo den Zustand so akzeptierte wie wir waren, dass sie nicht aggressiv oder ablehnend reagierte. War das nur meine Vorstellungskraft oder war sie viel ruhiger als vorher? "Die Welt hier verändert irgendwas. Hab vorher nur Schwärze gesehen im Unterbewusstsein, aber jetzt ist es grau und es gibt gedämpfte Geräusche.", gab sie zu, sichtlich froh etwas reden zu können. Sich etwas den Kopf haltend schaute sie vorraus, in der Ferne erste einzelne Häuser erspähen könnend. Es würde noch eine gute Weile dauern dorthin zu laufen. "Ich bleib am Hebel bis wir das Dorf erreichen, sonst kippt Celine vom Blutverlust um.", erklärte sie kurz. Man konnte ihr dabei jedenfalls nicht ansehen das sie Schmerzen hatte. Aber ihr Kommentar beruhigte mich zumindest. Ray war nicht in der Lage endlos lange meinen Körper zu kontrollieren, besonders wenn sich meine Emotionen stabilisiert hatten. Und das hatte sich in dieser Welt noch nicht geändert.

Klang nach einer recht beschissenen Existenz, ohne jede Stimulation, sich immer neu zurecht findend. Wunderte ihn nicht da ein Stück abgedreht zu sein. „Yup. Eine Bauersfrau hat uns den Weg gewiesen – und Essen aufgedrückt. Weil ich anscheinend wie irgendein Metallmagier aussehe und die suuuuper wichtig sind.“ Ich verdrehte die Augen, hielt davon überhaupt nichts. „Aber scheint sich dann doch gut zu entwickeln?“ Leicht lächelte ich. War nicht so, dass ich mich in ihre... Verteilung einmischen wollte, aber keiner sollte nur in Augenblicken leben müssen. Wegen des Blutverlusts schnaubte ich nur leicht. „Von einem Splitter kippt man nicht um, da brauchts schon mehr.“ murmelte ich, hatte meine Erfahrungen gemacht. Und rückte den Rucksack zurecht, damit Ray nicht auch noch auf meine Narben ansprach. Falls da tatsächlich welche waren.

"Krass", erwiderte sie kurzerhand, bezogend auf das Metallmagier dingens. "Wie war dein Name nochmal? Celine hat mich bestimmt schon vorgestellt." Sie zuckte mit den Schultern und erwiderte nichts weiter zu der Entwicklung im Unterbewussten. Es würde sich noch herausstellen ob es eine gute Sache war oder nicht. Und auch wenn Ray ebenfalls nicht mit mir einer Meinung war, sie nahm zumindest die Verpflichtung wahr uns am Leben zu halten. "Unser Körper hatte in letzter Zeit Kreislaufprobleme, war ne Menge Blut, daher sollte sich der Körper etwas ausruhen. Meine Belastbarkeit ist höher als Celine. Sie würde sich vermutlich einfach nur hier hin legen und warten bis es ihr besser geht.", erklärte Ray ohne dabei wirklich drauf zu achten, dass ich sie hören konnte! Ray wendete den Blick wieder nach vorne, dem Weg am Seitenrand folgend. "Und such dir neue Kleidung sobald wir da sind. Karneval Style fällt zu sehr auf."

„Bo. Boreas Sun für offizielles.“ Sie würden beide schnell feststellen, dass ich auf meinen vollen Namen kaum hörte. Sogar Schimpfworte waren besser. „Vorgestellt wäre noch die freundliche Variante...“ Warum verstand ich nicht recht, sah nichts schlimmes an Rays Eigenarten – Celines kühle und abgehackte Art war da kaum besser. Und einfach sitzen und warten bis es besser wurde konnten wir hier bestimmt nicht, mitten in der Landschaft. „Dieser Karneval hat dir etwas zu essen gebracht und könnte genauso für einen Doktor und ein Bett sorgen. Ganz davon abgesehen, dass ich es mag. Außerdem seid ihr hier die mit wechselnder Augenfarbe, also wer ist hier auffälliger?“ konterte ich nur.

Ray schmunzelte und kicherte dann drauf los, die Hände ergebend in die Höhe haltend. "Woah Woah Woah, immer langsam mit den jungen Pferden.", warf sie amüsiert ein. "Ich hab nix gegen deinen Karneval Style! Meinetwegen kannst du auch im Clownskostüm rumlaufen, ehrlich! Aber das passt nicht zu dir." Sie lachte und schaute wieder kurz nach vorne, ihren Gesichtsausdruck nicht zeigend. "Schließlich ist es recht zynisch wenn sich jemand verkleidet, der sich nicht verkleiden will, oder nicht Mr. Metallmagier?" Ray's Menschenkenntnis war hoch und sie traute sich auszusprechen was sich viele nicht trauten. Dabei meinte sie es gar nicht Böse, analysierte sie Bo nur auf ihre ganze eigene Art und weise, so wie sie ihn wahrnahm.

Minuten später war das Dort bereits in Sicht. Es war wirklich eine eher kleine Ansiedlung. An die dreißig Häuser, keine Zäune oder Mauern, dafür wieder die merkwürdigen Symbole. Es schien recht geschäftig zu sein auf den Straßen und in weiter Entfernung des Dorfes erkannte man eine vielzahl an Bauernhöfen. Es war offensichtlich das der großteil des Dorfes nicht in der Siedlung selbst wohnte. "Mittelalterlich. Die tragen Schwerter und so. Meinst du wir sind in einem Fantasy Roman gelandet?", bemerkte Ray und schaute Bo erwartungsvoll an.

Ich nahm nicht übel was sie ansprach, war mir dessen doch selber bewusst. Und überlegte nur einen Moment ehe ich ihr eine bessere Antwort gab. „Das hier fühlt sich nicht falsch an.“ Vielleicht hatte ich diese Kleidung nicht selbst gewählt, doch irgendetwas daran passte einfach. Sie verdeckte die Narben an die ich nicht denken wollte. Oberkörper teils frei, Wind fühlend, einen Körper zeigend den ich mir mit gestohlener Zeit hart erarbeitet hatte. Lockere Hose, Stoffgürtel adjustierbar, nichts einschränkend. Schuhe mit denen man klettern konnte, die vor Verletzungen bewahrten. Keine einzwängende Jacke, sondern etwas zu kurz für einen Mantel, Enden ungezwungen im Wind wehend, Kapuze als Wetterschutz, Maske für Anonymität. Es passte zu mir. Natürlich wäre es mir lieber nicht für jemand wichtigen gehalten zu werden, doch letzten Endes war die Kleidung nicht schuld daran, sondern die Leute.
Winzig wie die Siedlung war bezweifelte ich hier einen Doktor zu finden. Oder überhaupt etwas nennenswert zivilisiertes – vielleicht konnten wir wenigstens kostenlos in einem Stall schlafen, bevor es weiter zur einer Stadt ging. „Keine Ahnung. Ich durfte sowas nicht lesen.“ entgegnete ich mit einem Seufzen. Historisches – ja. Fantasy? Bloß nicht. Könnte ja meine Bildung vermiesen, meine Mutter davon ähnlich begeistert als hätte ich vorgeschlagen Drogen zu nehmen.

Mitfühlend seufzte Ray. "Ich auch nicht." Ehrlich gesagt durfte Ray überhaupt nicht lesen, schließlich war die Bibliothek mein Reich. Als Beide sich schließlich vor dem Dorfeingang befanden, drehte sich Ray lächelnd um. "Zeit ist um. War cool und so." Sie winkte ihm zu und die Augen flackerten, färbten sich zu einem violett und wurde zunehmend lebloser. Mit einem geübten Handgriff verlor das improvisierte Haarband den Halt und öffneten meine Haare vollständig. Nun wieder leicht humpelnd, starrte ich kurz auf meine Beine und dann in Richtung Ort. Da er die ganze Bandbreite meines Privatlebens mitgekriegt hatte, plannte ich nicht ihn davon zu überzeugen nicht mit Ray zu rden. "Vielleicht Arbeit? Kein Geld fürs überleben.", murmelte mein kühles Ich und schaute Bo abschätzend an. Fürs erste wollte ich ihm folgen, solange er mich dabei haben wollte.

Nun, mit so wenig Zeit zu leben würde es auch schwer sein Bücher zu beenden. So wie Celine sich verhielt war 'Kooperation' zwischen den beiden ein Fremdwort. Ich lächelte zurück, wollte Ray einfach etwas gutes geben wenn sie schon wer weiß wie lange in Dunkelheit verbrachte. Es war ganz nett dass sie mich so analysieren konnte, hatte ich doch mehr als genug Zeit zwischen Leuten verbracht die nicht mal ansatzweise erkannten wie es mir ging. Das Lächeln blieb auch ein paar Momente als willkommen für Celine, auch wenn ihr abwesender Ausdruck es nicht leichter machte. Lippen leicht zusammen pressend folgte ich, blickte woanders hin. „Vielleicht redest du mal in vollständigen Sätzen.“ murrte ich nur zurück, blickte nicht mal in ihre Richtung, sondern versuchte abzuschätzen welcher dieser Leute am unwahrscheinlichsten übertrieben auf meine Aufmachung reagieren würde.

Natürlich hörte ich sein mürrisches Kommentar, antwortete aber nur mit einem leichten "Sorry." Es war ernst gemeint. Würde selber lieber in ganzen Sätzen sprechen, mehr wie Ray sein, aber wie konnte ich zulassen etwas zu werden, das ich abgrundtief hasste? Das mir meinen Körper stahl? Mir meine Freiheit und meine Emotionen raubte? Kurz flackerten meine Augen rötlich, doch im selben Moment beruhigte ich mich und nichts passierte. Im nächsten Moment wusste ich gar nicht, wofür er mich angefahren hatte, sondern beobachtete nur die Leute. Wie gewohnt ignorierten sie mich komplett, hin und wieder warf mir vielleicht jemand einen neugierigen Blick zu. Doch Bo schien größere Massen anzuziehen. Ältere Menschen erkannten die Runen und begrüßten ihn freundlich, bedankten sich für irgendetwas mit einem Verbeugen. Der Großteil jedoch war neugierig, wer dieser Jemand war, der soviel Respekt von den Ältesten erhielt. "Wohin?", bemerkte ich, nachdem endlich der Großteil der Bevölkerung wieder seiner Beschäftigung nach ging. Wir hatten kein Geld und ohne waren wir aufgeschmissen.

Wunderbar. Ich wurde geachtet und wusste nicht wofür, etwas das ich schon mal grundlegend nicht ausstehen konnte. Äußerlich merkte man mir davon kaum etwas an, lächelte ich den Leuten doch zu, nickte an angebrachten Stellen und behielt einen zielstrebigen Gang, selbst wenn ich keinen Schimmer hatte wohin. Anpeilen tat ich einen älteren Mann, einsam auf einer Bank vor einem schäbigen Haus sitzend, verneigte mich leicht. „Guter Mann, wir sind auf der Suche nach einem Nachtlager. Kennt ihr eine wohlwollende Seele hier, die zwei Reisende ohne Mittel bis zum nächsten Tag beherbergen würde?“ Klare Fragen brachten einen noch am ehesten weiter.

Der alte Mann blickte auf, doch sein Blick war unfokusiert. Seine Pupillen waren blass. Eine lange Narbe zog sich quer durch sein Gesicht, während er sich in unsere ungefähre Richtung drehte. "Wohlwollende Seelen? Hier in diesem gottverlassenen Land?", konterte er mit einer Gegenfrage, seine Stimme ruhig und gealtert. "Was der Gottkönig nicht an Steuer eintreibt, lässt er sich durch die Banditen holen. Zwanzig Jahre habe ich gedient und das ist der Dank." Er wirkte etwas verwirrt, fast apatisch. "Bo. Schau." Unterdessen rüttelte ich ihm leicht am Ärmel und deutete auf einen der Dorfeingänge. Ein Zug Soldaten in voller Kampfrüstung, bewaffnet mit Speeren, Schilden und Schwertern betrat das Dorf und ließ die Erde dabei erbeben. Nur einer von ihnen war beritten und er trug die prunkvollste Rüstung von Ihnen allen. Er machte einen grimmigen Eindruck und etwas in mir spürte eine innere Gefahr ihm gegenüber. Eine unsichtbare Kraft die einen zu erdrücken versuchte. "Im Namen seiner göttlicher Majestät, versammelt euch auf dem Gemeindeplatz!", zischte der Mann lautstark, seine Stimme echote durch das komplette Dorf. "Schon wieder? Holen sie wieder die Kinder für ihre Armee? Wieviele wollen sie noch holen...", murmelte ein Mann zu einer Frau unweit von uns, während sie zum Dorfplatz eilten. Mein Blick wanderte zu Bo, ihn fragend ansehen ob wir folgen oder abhauen sollten.

So recht eine Antwort bekamen wir nicht von dem Mann, was mich innerlich seufzen ließ. Hätte doch direkt nach dem Stall fragen sollen. Oder wir warteten bis zur Dunkelheit und schlichen uns rein, das konnten kaum High-Tech Schlösser sein – den Ärger wollte ich uns nur sparen. Angesichts dessen dass ich aus China kam, einer Diktatur die vorgab kommunistisch zu sein, störten Steuern und rabiate Herrscher mich auch weniger. Das war normal und ich wusste dass man den Soldaten nicht widersprach ohne in eine Menge Probleme zu beraten. Also schlenderte ich Richtung des einzigen Platzes, hielt mich weiterhin als gehörte ich hierher, wusste worum es ging. Ein wenig besorgt war ich natürlich, gerade mit dieser Rekrutierungssache, doch letzten Endes würde uns das vielleicht voranbringen. Wir konnten nicht ewig durch die Landschaft streifen wie Flüchtlinge.

Das er keinen Streit mit den Wachen wollte schien verständlich, weshalb ich ihm rasch folgte und mich neben ihm auf den Markt aufstellte. Es dauerte nicht lange, da nahm der Trubel ein Ende und die Person auf dem Pferd stieg ab, nachdem er für Ruhe gesorgt hatte. "Du! Du!...Du!" Er ging zu Fuß die Reihen ab und deutete in regelmäßigen Abständen auf einen jungen Mann oder eine junge Frau, die halbwegs fit wirkten. Männer packten sie dann am Arm und führten sie zur Mitte des Soldatenzuges. Er kam immer näher zu uns und als er vor Bo stand, hatte er bereits zwei dutzend junge Leute gewählt. Er starrte Bo kurz finster an. "Du." Sein Blick wich zu mir, packte mich etwas unsanft am Kinn und betrachtete mein Gesicht. "Du." Und er ging weiter, während uns zwei Soldaten aus der Menge herausschoben uns zu den anderen gesellten. Wäre ich nicht relativ erschöpft mit einem immer noch verwundeten Fuß, hätte ich vielleicht durch das reine Anfassen eine Panikattacke bekommen, doch im Moment blieb ich ruhig. "Was wollen die?", murmelte ich fragend.

Bei dem finsteren Blick starrte ich nur zurück, gelassen, stechender Blick ungebrochen, erst am aufflammen. Logischerweise wehrte ich mich nicht gegen das erwartete, ging wohin man uns wollte. „Rekrutierung. Hast nicht zugehört?“ Sie als Meisterin der Gesprächsfetzen sollte das doch eigentlich gut können. Während der Kerl weiter Leute einsammelte, zog ich einen Apfel aus dem Rucksack, aß im Stehen. Wer wusste schon wann und welches Essen wir bekommen würden. Außerdem wollte ich meine Kapuze wieder auf dem Kopf haben, nicht nur herumtragen. Fühlte sich einfach richtiger an. Bei so vielen Leuten hatten die aber sicher Wagen irgendwo, mussten wir zumindest nicht laufen.

"Aber wozu? Krieg? Stabilität?", wollte ich wissen. Natürlich hatte ich zugehört, hinterfragte lediglich den höheren Sinn. Zwangsrekrutierung hatte oft nur zwei Gründe. Entweder das Reich war instabil und musste durch Militärmacht beherrscht werden oder Krieg. Beides machten mich nicht gerade scharf darauf der Armee beizutreten. Kurz schaute ich den unbesorgten Bo beim Essen zu, ehe ich innerlich seufzte und wartete bis der Kommandant mit der Rekrutierung fertig war. Es dauerte nicht lange, da setzten wir uns Bewegung. Eine Stunde verging und auch wenn ich immer noch mit dem Fuß zu kämpfen hatte, schien ich zumindest nicht umzukippen, wie Ray es prophezeit hatte. Tatsächlich wurde es mit der Zeit sogar immer besser, dadurch das Ray den Steinsplitter entfernt hatte und die Wundheilung einsetzte. Schließlich erreichten wir ein Zeltlager und wie man von den Gesprächen der Soldaten hören konnte, war es nur ein kleines Feldlager von wo aus mehrere Gruppen losmaschierten um in den verschiedenen Dörfern zu rekrutieren. Sobald alle da waren, würden sie in die nächste größere Stadt namens Zylo ziehen, wo die Grundausbildung stattfinden würde. Erpicht war ich darauf nicht und schwieg die Reise über zum Großteil.

Ich zuckte nur mit den Schultern, interessierten mich die Feinheiten weniger. Hier würden wir so oder so keine Antwort bekommen. Und wie erwartet ging es bald weiter, die größere Gruppe und jemand anders führend eine ganz gute Sache. Wir mussten nicht auf den Weg oder irgendwelche Gefahren achten und ich konnte mich in Ruhe umsehen, solange ich dabei weiter ging. Außerdem, wir bekamen eine Unterkunft, Essen und Erklärungen ohne etwas dafür tun zu müssen – vor allem ohne dass ich vorgeben musste jemand zu sein der ich nicht war – also wozu beschweren? Alles worauf ich achtete war bei Celine zu bleiben, wenn auch eher wegen dem unausgesprochenem Versprechen Ray aktuell zu halten. Irgendjemand musste dass ja tun.

Die Zelte erreichend brachte man uns zu den Zelten für Rekruten. Man erklärte uns das wir uns das jedes Zelt jeweils sechs Rekruten beherbergte. Glücklichweiser wurden wir aber nicht getrennt, wenn gleich die fehlende Privatsphäre auf Dauer sicher nervig werden würde. Man entließ uns bis zum nächsten Morgen, mit den Worten das wir nicht außerhalb des Lagers herumwandern sollten und Deserteure hart bestraft wurden. Auf den Betten im Zelt lagen Uniformen mit merkwürdigen Runen am Rücken versehen. Ob die überhaupt für alle passten? Immerhin hatten sie keine Maße oder so genommen? Die anderen vier Mitbewohner schauten sich ebenfalls etwas verdutzt um und es wurden sich auf Bett geeinigt. Die Kleidung selbst schien keinen Unterschied zwischen Männlein und Weiblein zu machen...aber...wächst die Kleidung von alleine? Etwas verdutzt starrte ich auf das Kleidungsstück das in meiner Hand plötzlich anfing zu wachsen bis sie die optimale Größe angenommen hatte. Als wäre sie maßgeschneidert. "Magie? Keine Showmagier?", mutmaßte ich leise vor mich hin, auch wenn man es noch hören konnte. Kein wunder das alle Bo so faszinierend fanden, wenn sie in der Lage waren Kleidung wachsen zu lassen, lag es nahe das sie andere Sachen auch tun konnten.

Nett dass sie uns Kleidung stellten, aber ich war mit meiner tatsächlich zufrieden. Da spielte es auch keine Rolle wie magisch passend sie war, besonders nicht wenn meine eigene Verzierungen hatte – welche die mir vom Gefühl her besser erschienen. Doch auch wenn keiner gesagt hatte, dass wir es tragen mussten, wäre das wohl ein verlorenes Argument. Also Kompromisse: das Hemd kam über meins, war dass doch sowieso eng und kaum bedeckend, die Hose von denen ignorierte ich. Und mein Kapuzenschal kam wieder auf, Vorräte unter dem Bett verstaut. Wenn die jemand hier klauen würde, nun, ich hing nicht daran. Wir bekamen hier schon genug. „Magie, Technologie – spielt das eine Rolle?“