Seelentor Assassins

Keuchend schreckte ich aus einem gefühlt ewig anhaltenden Schlaf auf. Eine kühle Briese fuhr mir durch die kurzen Haare und wirbelte sie ein wenig auf. Ein Blick genügte, um aus dem Erstaunen nicht mehr herauszukommen. "Träume ich?" Eine gewaltige Gebirgskette mit endlosen Schneemassen baute sich vor meinem Sichtfeld auf. Doch das merkwürdigste war, dass es hier nicht kalt war - nicht mal im Ansatz - ganz im Gegensatz zu dem was der Ausblick vermuten lassen würde. Noch erschreckender war jedoch der kristallende Untergrund auf dem ich lag. Durch die glasige Oberfläche konnte man erkennen das es viele hundert Meter nach unten ging. Dennoch schien die dünne, eisige Oberfläche kein Problem damit zu haben mein Gewicht zu halten. Etwas ungläubig musterte ich dann jedoch mein Aussehen. Obwohl ich immer noch das Kleid und die Leggings trug, war aufeinmal eine schwarze Halbkutte samt Kaputze aufgetaucht. Zusätzlich hing eine schwarz gefärbte, hölzerne Querflöte an einem Band befestigt um meinem Hals. Doch das war nicht einmal das Verrückteste. Meine Augen waren schwarz gefärbt und die gelben Pupillen verliehen mir einen unheimlichen Touch. Schwarze Augen?! "Der Treffer muss heftig gewesen sein, das ich jetzt Wahnvorstellungen hab..."

Es war nur ein paar Minuten zuvor gewesen. Ich war auf dem Heimweg am späten Abend gewesen. Auch wenn keine Hochsession in Venedig war, musste man doch bedenken das zahlende Kundschaft im Musik Business eher am Abend anzutreffen war. Und an diesem Tag war ein besonders schlechter Tag gewesen. Nicht nur schienen die Leute heute besonders ignorant der Kunst gegenüber zu sein, nein ich wurde auch noch regelmäßig angepöbelt was zu meiner derzeitigen schlechten Stimmung führte. Das Fass zum überlaufen brachte dann jedoch mein Vater, als ich die Haustür hinter mich schloss und die kleine Wohnung betrat. Der Gestank von Alkohol stieg mir bereits im Flur in die Nase und schlecht gelaunt wie ich war, kam es bereits direkt zum Streit, nachdem mein Vater abermals unverschämterweise nach mehr Geld für seine Trinksucht verlangte. Es wurde recht laut, bis ich nur noch den Schatten einer fliegenden Flasche wahrnahm und mir schwarz vor Augen wurde.

Und so wachte ich an diesem komischen Ort auf. Doch egal was ich versuchte, der Traum schien nicht zu enden. Selbst das altbekannte Kneifen schien nur für etwas unangehmen Schmerz zu sorgen. "Sag mir nicht das ich tot bin und hier der Himmel anfängt..." Eine kurze Panik machte sich breit, doch recht schnell wurde ich wieder Herr meiner Gefühle. Nein, es fühlte sich nicht an als wäre ich tot. Plötzlich leuchtete es grell und neben mir konnte ich plötzlich eine weitere Gestalt erkennen, die aus dem Nichts zu erscheinen schien...

Was mich weckte war die Ruhe. Mumbai, konstant überbevölkert, ein Zuhause in dem kaum ein Quadratmeter wirklich mir gehörte – es war nie still. Man konnte die Natur nicht hören. Am nächsten kamen noch Kopfhörer mit Musik, verdrängten wenigstens das meiste der Umgebung. Aber ich hatte mich gerade des Lärms wegen wieder von Zuhause verzogen, mir eine Nische auf einem Nachbardach gesucht und zumindest versucht Schlaf zu bekommen. Schwüle Monsunhitze half da wenig, selbst wenn ich die Änderung erst als zweites registrierte.
Und nun... lag ich auf einer glatten Unterfläche, in Klamotten die nicht dem entsprachen worin ich aufgebrochen war und gegenüber eines Mädchens dass ich definitiv nicht kannte. Nicht indisch. Tourist vielleicht, doch das erklärte nicht alles andere. Kurzum, ich war erstmal völlig sprachlos.

Die Lichtgestalt verwandelte sich recht zügig in einen blondhaarigen jungen Mann, welcher anschließend etwas unbeholfen auf dem Boden aufzukommen schien. Er blickte mich sprachlos an und ich erwiederte den selben sprachlosen Blick unbewusst. Es vergingen ein paar Sekunden, ehe ich mir einen Reim daraus machte was gerade passiert war. Offensichtlich war dieser junge Mann ebenfalls wie ich ohne Kenntnis hier aufgeschlagen. Nur hatte mir seine leuchtende Ankunft einen ziemlichen Schock verpasst. Wer rechnete auch mit dem grellen Lichteffekt? "H-hey...", begann ich recht vorsichtig und richtete mich so auf, dass ich bequem auf der kristallenden Brücke sitzen konnte. Glücklicherweise war noch genug Abstand zwischen uns, ansonst wäre ich bei seiner Ankunft vermutlich erschrocken die Brücke hinunter gestürzt. "Weißt du, wo wir hier sind?" Mein Verstand und auch gleichzeitig mein Tonfall wurde zunehmend ruhiger, schließlich war ich niemand der lange panisch war, sondern versuchte die Lage auszukundschaften. Es ließ sich nicht ändern das ich aus unbekannten Gründen hier aufgetaucht war, lieber wollte ich den Grund erfahren oder wo wir hier waren.

„Hi“ entgegnete ich ebenso verdattert, richtete mich ebenfalls auf in eine angenehmere Position. Wobei der Kristall schon seltsam war. So sauber. Und immer noch diese Stille ringsum, die mir fast in den Ohren rang. „Nicht in Mumbai“ war alles was ich aus der Situation schließen konnte. Vielleicht der Himalaya...aber nein, ich wüsste nicht wie ich dorthin gekommen wäre und von einer gigantischen Glasbrücke dort hätte ich doch gehört. Aufgebracht war ich auch nicht, was sicher auch darin begründet war, dass ich wohl zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich die Ruhe hatte zu denken. Ich hatte darüber gar nicht bemerkt dass sich meine Haare ins helle verändert hatten und schon gar nicht das herausstechende orange Makeup – ein Experiment über das ich oft nachgedacht hatte, aber nie wagte es zu probieren. Hätte in meiner Familie nur Probleme gegeben, von der Gesellschaft ganz zu schweigen.

"Mumbai...?" War das ein neues Sprichwort? Allerdings sah er nicht so aus als wolle er sich einen Spaß erlauben, weshalb ich nicht weiter drüber nachdachte. Schließlich sprach er fließend italienisch, zu meinem Glück. Sein Aussehen verwunderte mich jedenfalls nicht, zum einen da ich bereits krassere Punks in Venedig gesehen hatte und zum anderen fand ich das der orangene Lidschatten gut zu seinem Äußeren passte. Mit einem leicht untrainierten Aufstöhnen kam ich auf die Beine, klopfte das Kleid grade und schaute mich um. Abgesehen von den verschneiten Berggipfeln und der verdächtigen Brücke, war der einzig andere Anhaltspunkt ein gewaltiger Steinschädel mit geschlossenen Augen, der eine Art Tor zu bilden schien. Wohl der Weg den es weiter ging? Ich ging auf den Jungen zu und reichte ihm mit einem charmanten Lächeln eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. "Alice übrigens. Wie Alice im Wunderland." Ein Eisbrecher, natürlich nicht wörtlich gemeint, denn sonst würden wir jetzt wohl Bungee Jumping ohne Seil spielen.

Ich konnte mir nicht erklären wie ein Tourist der fließend Indisch sprach nicht wissen konnte was Mumbai ist. Das klang zumindest aus ihrem Tonfall heraus. Ok, viele kannten es noch als Bombay, aber jeder der sich halbwegs für das Land interessierte wusste dass die Einheimischen die Bezeichnung nicht guthießen. Während das Mädchen aufstand versuchte ich immer noch die Berggipfel einzuordnen – der Himalaya hatte genügen bekannte die erkennbar sein sollten, einen Anhaltspunkt über unsere Position geben. Nur waren sie nicht da. Hier war überhaupt nichts bekanntes. Ihre Hand ignorierend kam ich leichtfüßig selbst hoch, stellte mich mehr der Höflichkeit wegen vor. „Jaswinder“ Spezifizieren tat ich das nicht, Indien hatte sowieso ein Problem mit zu wenig Namen für zu viele Leute.

Awkward... Den krampfhaften Versuch das Lächeln aufrecht zu erhalten gelang mir letztendlich nicht, ehe ich die abgelehnte Hand zurücknahm und ihn etwas verwundert anstarrte. Innerlich seufzend wendete ich den Blick ab und richtete ihn auf den großen Steinschädel. "Schätze das Tor dort hinten ist der Ausgang.", bemerkte ich relativ gelassen und näherte mich der Formation vorsichtig, darauf bedacht nicht versehendlich die dünne Eisschicht auf der Brücke zu beschädigen. Schließlich hatte ich das Bedürfnis noch eine Weile länger zu leben. Plötzlich, als ich dem Schädel immer näher kam, öffnete dieser die Augen! Was zum... Erschrocken wich ich etwas zurück und starrte ungläubig zu den leeren, steinernden Augen hinauf. E-es war lebendig?! "Wollt ihr eine neue Zukunft? Dann tretet ein – oder kehrt um. Wählt weise! Ihr bekommt diese Chance nur einmal.", raunte eine tiefe, dumpfe Stimme. Ich rieb mir etwas die Schläfe dabei, in Gedanken ob ich verrückt geworden war oder ob ich akzeptieren sollte das nach dem Tod alles möglich war? Ja richtig, mittlerweile ging ich davon aus, das der Treffer mit der Flasche mein Leben beendet hatte. Und abgesehen davon...wollte ich wirklich zurück? Musik war alles was mir etwas bedeutete und Musik war nicht gebunden an einem Ort. Mein Blick schweifte kurz zu Jaswinder, ehe ich einen Schritt nach vorne machte und plötzlich spurlos verschwand.

Es war nichts persönliches dass ich so unnahbar reagierte, war es schlicht nicht gewöhnt dass andere auf meine Meinung, Gefühle oder Bedürfnisse achtete. Zu viele Kinder, zu wenig Aufmerksamkeit. Ich hatte gelernt auf mich selbst zu achten, niemand sonst bereit mich vorwärts zu bringen. Kein Wunder dass ich Gesellschaft in Musik gesucht hatte – zwar redete da auch keiner direkt mit mir, aber ich konnte es mir wenigstens einbilden, blendete zeitgleich die reale Welt aus. Folgen tat ich dennoch, wenn auch mehr weil ich nicht zurück gelassen werden wollte um all das hier alleine rauszufinden. Ein sprechender Schädel war weitaus nicht das seltsamste wenn man an diverse Götter glaubte und das Angebot ließ die Situation auch deutlich mehr Sinn machen. Nicht das ich normal daran geglaubt hätte, aber wenn es schon mal passierte? Besser annehmen, niemanden verärgern und schauen das Beste draus zu machen. Leicht mit den Schultern zuckend folgte ich dem Mädchen, machte nur eine Geste der Ehrerbietung in Richtung Schädel bevor ich den letzten Schritt tat.

"Enchanters remind
That time will not unwind.
The dragon’s crooked spine,
Will never straighten into line.

What we plea will be
A faithful end decree,
Where a man will not retreat
From the defeat of his fathers."

Eine sanfte weibliche Singstimme begleitet durch die harmonische Melody einer Laute weckte meinen leicht versteiften Körper aus der Bewusstlosigkeit. Im Rhythmus klatschende Geräusche und das Lacher fremder Menschen war zu hören. Als ich meine Augen öffnete bemerkte ich Jaswinder welcher neben mir lag, ehe ich meinen Blick schweifen ließ. Wir lagen in einer kleinen Abstellkammer. Eimer, Wischmopp und Besen waren achtlos in einer Ecke gefeuert. Brennholz, ordentlich gestappelt, diente als Kissen und sorgte dafür das meine Haare nun unangenehm pieksten. Sicherstellend das Jaswinder noch atmete, öffnete ich vorsichtig die Tür einen Spalt breit und begann zu staunen. Wir waren in einer Taverne! Gäste in leichten Stoffkleider oder aber dicken Metallrüstungen saßen an diversen Tischen, spielten Karten, tranken aus gewaltigen Krügen oder lauschten begeistert der Maid, die mit ihrer Laute in der Mitte des Raumes ihr Lied aufführte und passend dazu tanzte. "Wo zur Hölle sind wir hier? Ein Fantasy Roman?" Ritter in Rüstungen, bewaffnet mit Schwertern? Mysteriöse Männer in Kutten? Und...ist das eine Elfe?! Nervös schluckend schloss ich die Tür und rüttelte an Jaswinder's Schulter. "Hey, schau dir das an...", meinte ich leise und deutete zur Tür.

Brennholz war nun selbst für meine Verhältnisse ein unbequemes Schlaflager, mehr die bekannten Geräusche von zu vielen Leuten die mich dazu brachten liegen zu bleiben. War immerhin nichts ungewöhnliches und oft genug machte ich ein Nickerchen, harter Untergrund also nicht zu seltsam. Alles dazwischen nur ein Traum – bis ich gerüttelt wurde und hochschreckte, irritiert feststellte dass es doch real war. Und ein Blick durch die Tür reichte um mir zu sagen, dass ich hier nicht auch nicht ganz passte. “Nun... wir können warten bis uns jemand findet and fragt wie wir hergekommen sind, oder wir gehen einfach raus.” So zu tun als gehörte man wohin hatte bisher noch gut funktioniert.

Dem Jungen eine Weile in die Augen starrend dachte ich über seine Worte nach. Er hatte in der Tat ein sinnvolles Argument. Solange wir keine Informationen hatten, war es besser sich einfach unauffällig unter die Leute zu mischen. Ergo nickte ich ihm zustimmend zu und schielte durch den Schlitz der Tür, empfand den Türbereich als unbeobachtet und huschte rasch aus der Tür. Doch etwas überhastet bevor Jaswinder die Kammer hinter sich lassen konnte, zog ich ihn am Ärmel auf eine Sitzbank und setzte mich entsprechend rasch ihm gegenüber hin - gerade rechtzeitig als sich eine Schankmaid zu uns umdrehte und einen verdächtigen Gesichtsausdruck auflegte. Für einen Moment stand mein Herz still. Ich bereitete mich bereits innerlich auf allerhand Fragen unserer Herkunft vor, doch bis auf ein kurzes Stirnrunzeln legte die Schankmaid ein freundliches Lächeln auf und kam an unseren Tisch. "Was darf ich euch bringen?" Ihre Stimme war charmant, warm und entspach voll und ganz ihrem jugendlichen Auftreten. Tatsächlich ähnelte sie mir vom Aussehen her, nur das sie schulterlange braune Haare und weniger creepy Augen besaß.

Mein Kopf ratterte und vielleicht lag es an der ruhigen Ausstrahlung der Schankmaid, dass sich langsam ein Plan in meinem Kopf formte. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und entsprechend knurrte mein Magen. Außerdem half es uns sicher besser unterzutauchen wenn wir hier ganz normal etwas aßen. Das Problem? Geld. Die Leute sahen nicht aus, als ob sie Euro's annahmen, nicht das ich meine Brieftasche dabei hätte. "Ehm...", begann ich kurz etwas nervös, dann aber doch mit einem selbstbewussten Lächeln auf meine Lippen fortfahrend, "Wir hätten gern die Empfehlung des Hauses. Allerdings hätte ich da einen Vorschlag." Ich machte einen nachdenklichen Eindruck. "Ich bin eine wandernde Musikerin und würde für unsere Mahlzeit etwas aufführen. Die Stimmung scheint gerade richtig..." Meine Miene versuchte so überzeugend rüber zu kommen wie nur möglich, wenn gleich alles daran gerade nur dazu Schrie das wir einfach kein Geld hatten. Doch als das Mädchen mir in die Augen schaute...war das Furcht? Ihre Stirn glitzerte wässrig und irgendwie flackerte ihre Form kurz merkwürdig, nur um im nächsten Wimpernschlag wieder normal zu sein. Ob ich mir das eingebildet hatte?

"N-natürlich, wir unterstützen gerne fahrendes Volk. Wie wäre es damit? Ihr spielt ein Stück nach dem Marie ihres beendet hat und wenn die Masse begeistert ist, geht die Mahlzeit und Logis aufs Haus?" Keine Einbildung. Ihre Stimme zitterte kurz nervös. Doch es war mehr wie eine instinktive Reaktion. Jäger-Beuteverhalten. Aber warum? Auf mein zustimmendes nickend, entfernte sich die Schankmaid rasch. "Bin ich gut oder bin ich gut?", grinste ich Jaswinder an, kein Lob erwartend, schließlich war er komischer Kauz, was mich von meinem eigenen Spaß jedoch nicht abbrachte.