Die fliegenden Inseln

Nach knapp einer Woche in dieser Dschungel-Hölle konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich doch noch viel lebendiger war, als ich bei meiner Ankunft eigentlich erwartet hätte. Die vielen, gewaltigen Ranken machten eine Wanderschaft fast unmöglich. Dazu kamen diese Todesfallen an Ruinen, wo jeder falsche Schritt einen fünfzig Meter tiefen Fall nach sich ziehen konnte. Man konnte also durchaus sagen: Ich war ganz in meinem Element! Und alles fühlte sich realistisch genug an, dass ich unmöglich Tod sein konnte.

Den Stab, eher ein Rohr, gefunden in einem Schrotthaufen ein paar Ruinen vor dieser hier, nach vorne haltend, balancierte ich über eine schmale Wurzelbrücke zwischen zwei Ruinenhälften. Mehr als elegant kam ich auf der anderen Seite an und vermisste ein wenig den Applaus der Menge. Auch wenn ich mich nicht beschweren sollte, hatte man mir mit dieser neuen Welt doch endlich einen entscheidenen Gefallen getan: Ich war frei! Kein Stress, kein ständiges in der Maske sitzen und Schlafen solange ich wollte. Vorsichtig tastete ich meine Hüfte ab. Es war noch da, gut. Mein Abendessen, ein toter Hase, hing an einer stabilen Schnur von meinem Gürtel herunter, damit ich ihn bei der kleinen Klettertour nicht verlor. Der Kopf machte einen eher matchigen Eindruck, hatte ich das lahme und damit hilflose Tier mit dem Stab ein wenig zu hart getroffen. Tatsächlich hing sogar noch etwas Blut an meiner Wange, was mir aber nicht besonders viel ausmachte. Hier gabs ja ohnehin kein Badezimmer zum waschen oder Publikum für das man sich hübsch machen musste.

Plötzlich stieg mir mit einem Windzug der angenehme Geruch gebratenen Fleisches in die Nase. Hungrig, aber vorallem eher neugierig, folgte ich dem Geruch, bis das Knistern eines Feuers an meine Ohren drang. In einem antiken Raum mit halboffener Decke und zugewucherten Wänden, fand ich schließlich die Quelle. Ein junger Mann mit dunkelbraunen Haaren und roten Augen saß dort vor einem Feuer, über dem ein Spieß mit einem etwas größeren Hasen als meiner hing. Grinsend rutschte ich aus meinem kleinen Versteck eine Ranke hinunter und kam elegant vor dem Feuer zu stehen. "Du erlaubst?", kicherte ich, kniete mich ungefragt hin und legte die Hände über das Feuer um sie zu wärmen. Hätte nicht erwartet in diesen Ruinen überhaupt Menschen anzutreffen. Zwar hatte ich unterwegs schon ein paar Leute getroffen, aber die waren eher von der unhöflichen und lauten Natur.

Mit einem dumpfen Geräusch stiess die Klinge in das Holz der Ranke. Mit einer kurzen Bewegung nach unten hinterliess sie ein langgezogener Strich zurück. Nicht unweit daneben befand sich bereits ein weiterer Strich und bei einem Abstand einer halben Handfläche ein ganzer Block aus fünf weiteren. Insgesamt ergab es somit sieben. Es war der siebte Tag, den ich an diesem seltsamen Ort verbachte. Bedacht steckte ich das Bajonett zurück und betrachtete für wenige Sekunden mein Kunstwerk, ehe ich mich umdrehte und wieder dem Feuer widmete, das leise vor sich hin knisterte. Darüber aufgespiesst wartete bereits mein Mittagessen, dass ich am heutigen Morgen gejagt hatte. Drei Tage hatte es mich gekostet, mich dazu überwinden auf die Jagd zu gehen. Hätte ich es aber nicht gemacht, wäre ich vermutlich früher oder später elendig verhungert, denn das erste Tier stellte eine enorme Herausforderung dar und eine nächste es auch noch zu häuten. Auch wenn meine Technik im Nachhinein betrachtet recht grob war und ich vermutlich die Hälfte meiner Beute unsauber mit dem Bajonett verarbeitete, landete zumindest genug Fleisch über dem Feuer, um mich am Leben zu erhalten und zu neuen Kräfte zu verhelfen. Genug um mich abermals auf die Jagd zu machen und aus meinem Fehler zu lernen.
Mittlerweile konnte man sogar sagen, dass ich mich nach sieben Tagen in der Wildnis gut gehalten habe. Ich hatte einen festen Schlafplatz errichtet und mit der Brennpaste aus dem Notkocher 71 war es ein leichtes gewesen zusammen mit dem Feuerzeug ein Lagerfeuer zu entzünden. Die Feldflasche hielt sorgsam aufgeteilt auch ganze zwei Tage, ehe ich sie an einer Quelle wieder auffüllen musste. Doch wo war dieses hier? Ich wusste es nicht. Jedenfalls fühlte es sich an, als wäre man auf einem fremden Planeten gelandet. Auch wenn es hier wie ein Dschungel aussah, so hatte ich solch gigantische Wurzeln noch nie in meinem Leben gesehen. Aber auch die dutzenden, überwucherten Ruinen machten einen sehr fremden Eindruck, als hätte ich es mit einer ausserirdischen Kultur zu tun. Doch spätestens die schwebenden Felsbrocken mit der Grösse einer Insel am Himmel zeugten definitiv davon, dass ich nicht mehr auf meiner Erde war.
Mit einem leichten Seufzer liess ich mich auf einem Baumstrumpf fallen, den ich neben dem Feuer als Sitzmöglichkeit benutzte. Das Fleisch dürfte noch ein paar Minuten brauchen, ehe es man essen konnte. Also nahm ich Notizbuch und Kugelschreiber zur Hand.

Tag 7
Noch habe ich nicht herausgefunden, wo ich mich befinde. Auch wenn ich auf der Jagd abermals auf andere Menschen gestossen bin, so hielt ich Abstand und habe…

Ein Rascheln liess mich innehalten und ich spitze die Ohren. Sah mich instinktiv nach rechts und links um. Konnte aber keine Gefahr erkennen, als plötzlich von oben herab ein Schatten nach unten stürzte. Alarmiert stand ich direkt auf und griff mit der rechten Hand zum Knauf des Bajonetts. Der Kugelschreiber fiel samt Notizbuch dabei zu Boden und ich starrte in das grinsende Gesicht eines Mädchens. Sie hatte auffällig violette Augen und auch ihre Haare schienen gefärbt zu sein. Ihr Verhalten liess mich verdutzt stehen. Sie schien keine wirkliche Angst vor mir zu haben und war mehr an meinem Feuer interessiert, als an meiner Wenigkeit. Schliesslich hatte sie selber ein erlegtes Tier bei sich. Ich fasste den Entschluss, dass von ihr keine Gefahr ausging, daher steckte ich das halbgezogene Bajonett zurück und sammelte den Schreiber sowie Notizbuch vom Boden auf. "Du hast hier noch was Blut…", meinte ich leise und tippte mit dem Finger auf meine Wange. Ich liess sie nicht aus den Augen, während sie sich an meiner Feuerstelle bediente. "Du gehörst nicht zu ihnen." Es war keine Frage, sondern mehr eine Feststellung aus meiner Beobachtung.

Eine Woche. Eine Woche ohne Ozean, ohne viel Nacht, ohne all die Routinen in die ich über die Jahre verfallen war. Auf der einen Seite tat es mir gut, diese fremde Umgebung zwang mich dazu mich zu bewegen, all das anzuwenden was ich über die Jahre gelernt hatte – sicher bleiben, essen beschaffen, Unterkünfte finden, einen Weg finden. Alles Sachen die tagsüber am besten funktionierten. Nur war ich daran gewöhnt tagsüber Schlaf zu bekommen, konnte das nachts viel zu selten und dementsprechend hatte ich nach der Woche auch Augenringe, war generell blass, was mit meinen dunklen gelockten Haaren, meinem schmächtigem, wenn auch trainierten, Körper ein eher klägliches Bild abgab. Es täuschte. Solang ich allein war machte ich mir nur nicht die Mühe gefährlich und düster zu wirken, Leute direkt abzuschrecken.
Dem Feuer war ich schon ein paar Stunden gefolgt. Ich hatte keine Mittel eins zu machen und während es hier nicht übermäßig warm war, so würde es doch Mahlzeiten vereinfachen. Alles was ich brauchte war ein bisschen um es am Leben zu halten. Also hatte ich die Ruine aufgesucht und angesichts dessen dass jemand dort war, wartete ich einfach, in einer Nische am Ende eines halb eingebrochenen Tunnels als Deckung, jedoch alles hörend und sehend. Wenn ich ganz still war, hier im Schatten, würde mich niemand wahrnehmen. Erfahrung hatte das bewiesen. Und ob ich überhaupt je wieder mit irgendwem sprechen wollte, konnte, wusste ich auch noch nicht so sicher. Also warten. Nicht einschlafen.

Die abwehrende Reaktion des Jungen war mir nicht entgangen, doch erwartungsgemäß steckte er sein kleines Messerchen wieder ein, als er merkte das ich kein wildes Tier war, das versuchte ihn anzufallen. Als er mich direkt ansprach blickte ich zu ihm und lachte etwas. "Oh! Das hab ich glatt vergessen...", log ich und rieb mit den Daumen zielgenau das Blut aus dem Gesicht und wischte es am Fell des toten Tieres ab. Zwar blieb auf meiner Wange ein kleiner roter Faden zurück, doch das kümmerte mich nicht weiter. Den Stab hatte ich in Griffreichweite neben mir auf dem Boden gelegt, während ich entspannt seufzend die Hände wärmte. Auf seine Anmerkung reagierte ich schlicht nicht, sondern begann damit den Hasen mittels eines angespitzten Steins zu häuten, was im ersten Moment relativ brutal aussah und dafür sorgte das wieder Blutspritzer in mein Gesicht schossen. Doch ich grinste nur, unbeirrt weiter machend. "Was glaubst du wie lange es mich die letzte Tage gekostet hat ein Feuer zu machen ... lass mich auskosten endlich etwas Arbeit zu sparen!", hielt ich ihn hin und schon kurze Zeit später hing ein gewaltiger Brocken Fleisch aufgespießt über dem Feuer, direkt neben seinem Tier. Auf dem ersten Blick war schon klar, dass das Fleisch so groß war, das es niemals durchgebraten werden würde. Doch mir schien das egal zu sein, setzte mich einfach davor, legte mich zurück und verschränkte die Arme lässig hinter den Kopf. Mein Blick traf überraschend auf ein Paar vermutlich menschlicher Augen unweit in einem Schatten verborgen - verraten durch die sanften Reflexionen des Feuers. Ich war mir ziemlich sicher, dass er oder es meinen Blick bemerkte. Doch ich lächelte nur und sagte nichts. Stattdessen schaute ich zu dem jungen Mann am Feuer. "Wenn du mit "Ihnen" diese verspießten und komisch gekleideten Fellvieher meinst. Eher nicht, nein. Warum fragst du?"

Die Fremde machte unbeirrt weiter und wärmte sich zuerst die Hände an meinem Feuer, ehe sie mit einem scharfkantigen Stein ihre Beute malträtierte. Etliche Blutspritzer und Fellfetzen wurden in alle Richtungen verteilt, bis sie endlich einen saftigen Brocken Fleisch in der Hand hielt, der weiterhin blutig tropfte und Fäden aus Fett zog. Dieses Schauspiel an stumpfer Gewalt hatte etwas Hypnotisierendes an sich gehabt, sodass ich das Notizbuch samt Schreiber in meiner Hand völlig vergessen hatte und auch nicht direkt auf ihre Anmerkung reagierte. Ihr Brocken war zu gross, sodass er schön durchbraten würde. Doch das war nicht mein Problem und mein Messer wollte ich ihr auf keinen Fall aushändigen. Besser ich behielt das Feuer zwischen uns beiden als kleine Barriere. Als sich das Mädchen nach erledigter Arbeit zurücklehnte, widmete ich mich auch wieder meinem Notizbuch. Im Gegensatz zu ihr bemerkte ich nicht den Jungen, der sich unweit im Schatten verbarg. Doch sobald er näherkommen würde, würde ich ihn wahrnehmen. Ein unerwarteter Gast war mehr als genug, sodass ich meine Ohren gespitzt hatte und meine Wachsamkeit sich deutlich verstärkt hatte. Auch wenn ich weiterhin den Anschein hatte, dass ich mich wieder in mein Buch vertiefte. "Weil ich gerne wissen will, mit wem ich es zu tun habe. Wenn dieser jemand sich ungefragt zu mich hinsetzt.", erwiderte ich und schaute kurz auf, um mein Fleisch zu drehen. Dann setzte ich wieder den Stift an und schrieb weiter.

Ich zuckte minimal zusammen als das Mädchen direkt in meine Richtung blickte, blinzelte einige Momente nicht und hielt auch meinen Atem flach. Wegzublicken würde mich nur verraten, die winzige Bewegung manchmal genug um den Bann zu brechen der mich verborgen hielt. Sicher. Es war ein delikates Gleichgewicht. Und noch wollte ich nicht näher, wusste nicht wie ich reagieren sollte, wie auf andere in diesem Umfeld zuzugehen war. Also warten. Außerdem horchte ich auf was diese... potenzielle Gefahr anging. Begegnet war mir nichts auffälliges, eigentlich auch sonst niemand. Etwas mehr zu wissen schadete da aber nicht, besonders solange das Mädchen mich nicht verriet. Da sie eh schon wusste wo ich war erlaubte ich mir eine etwas bequemere Position, lehnte mich tiefer in den Schatten. Nie hätte ich gedacht, dass er nachgeben würde und ich fiel... und fiel... und fiel... eine gefühlte Ewigkeit ehe ich plötzlich vor die beiden am Feuer stolperte, einen Moment nichts, den nächsten ein etwas stärkeres Flackern der Schatten ums Feuer, dann lag ich da. Irritiert und erschrocken und eigentlich kaum mehr als ein Bündel Junge in dunkeln Klamotten.

Für meine Verhältnisse ziemlich geduldig, beobachtete ich den Jungen wie er in seinem Buch las und dabei mir seine Antwort entgegenbrachte. Mein Grinsen wurde breiter und mit einem satz sprang ich in einen ein-händigen Handstand, dafür sorgend dass ich seine Aufmerksamkeit hatte, ehe ich elegant auf die andere Seite des Feuers hüfte und auf den Beinen aufkam. Die Arme ausgestreckt, als würde die Menge applaudieren. "Die unglaubliche und bezaubernde Kate Reece. Stehts zu Diensten.", stellte ich mich vor und verbeugte mich überschwänglich, ehe ich ein merkwürdiges Geräusch wahrnahm und gerade noch sah wie etwas am Feuer auf den Boden plumste. Mein Blick sprach Bände, nahm ich doch an dass das Paar Augen in Form eines jungen Mannes aus dem Busch gefallen war. Neugierig beugte ich mich zu ihm runter. "Sag nicht du bist ein heimlicher Fan ... oder ein Stalker. Das würde erklären, warum du dich die ganze Zeit im Busch versteckt hast.", überlegte ich, eine gespielt nachdenkliche Miene ziehend. "Aber ich bin dir dankbar, dass dich meine Performance so sehr aus den Socken gehauen hat...", kicherte ich etwas und setzte mich unbeeindruckt wieder vor meinen improvisierten Kaninchenspieß .

Ich hob erneut den Blick über den Rand des Buches, als das Mädchen mit den violetten Haaren plötzlich einen einhändigen Handstand hinlegte und mit akrobatischen Fähigkeiten näher auf meine Seite des Feuers hüpfte. Beeindruckend. Zumindest für mich, da ich selbst nicht dazu in der Lage gewesen wäre. Doch ich liess mir von aussen nichts anmerken und verbarg noch immer desinteressiert wirkend die Hälfte meines Gesichtes hinter den Seiten des Notizbuches. "Kate Reece…", murmelte ich leise und versuchte mich zu erinnern, ob ich diesen Namen schon einmal gehört hatte. Jedoch erfolglos und nun oblag es aufgrund der Höflichkeit, mich ebenso vorzustellen. "Simon Wyss." Mehr konnte ich nicht sagen, da wurde ich auch schon unterbrochen. Jemand Neues war näher ans Feuer getreten. Ich hatte ihn aber weder gesehen noch gehört, was mich wieder direkt zur Vorsicht ermahnte und meine Hand zum zweiten Mal an diesem Abend zum Griff des Bajonetts wanderte. Wer zum Teufel war das nun schon wieder? Und noch die wichtigere Frage, gab es noch mehr von denen ich nichts wusste. Im Gegensatz zum Mädchen wirkte ich daher recht misstrauisch und behielt meine Hand noch am Griff verweilen. "Oder ihr beiden kennt euch?", fügte ich am Ende hinzu. Banditen? Oder vielleicht doch Schlimmeres? Konnte es sein, dass die beiden es auf mich abgesehen haben. Das Mädchen setzte sich zurück ans Feuer, als wäre nichts vorgefallen, während ich eine Antwort des Häufchen am Boden abwartete.

Das Mädchen hatte ein paar beeindruckende Skills drauf, etwas dass sicher jahrelanges Training erfordert hatte, ähnlich wie meins, nur mit anderem Fokus. Kate. Die mich bemerkt hatte und sich denken konnte wer da am Feuer aufgetaucht war, während ich noch damit beschäftigt war mich neu zu orientieren und irritiert dreinblickte. Ihre Worte hörte ich auch nur teilweise, realisierte vom Rest schon dass sie einer dieser Typen war bei denen man auf das meiste besser nicht einging, weil diskutieren zwecklos war. Bei der Frage des Jungen, Simon, schüttelte ich nur leicht den Kopf. Kennen war deutlich zu viel gesagt. „Nico“ bot ich nur leise meinen Namen an, rappelte mich langsam auf – und blieb gleich im gekonnten Lokussitz am Feuer sitzen. Hier war es wärmer. Blieb nur die Frage wie ich überhaupt hierher gekommen war... meinen vorigen Sitzplatz machte ich nach etwas suchen aus, aber ich hatte keine Ahnung wie.

"Flüchtig...", antwortete ich, nicht darauf eingehend, das ich als flüchtig auch ein paar wenige Sekunden Blickkontakt zählte. Als sich der Neuankömmling als Nico vorstellte, waren alle Namen ja jetzt vollzählig. Mittlerweise sah das Kaninchenfleisch des Jungen bereits ziemlich gut aus. Ich wartete also ab, bis er sich wieder seinem Buch wittmete, auch wenn mir klar war, dass er uns aus dem Augenwinkel genau beobachtete. "Alsoooo Si-mo-n~. Was liest du denn da?" wollte ich interessiert wissen und krabbelte auf allen vieren näher zu ihm heran. "Vielleicht ein Tagebuch?" Er drehte es schnell von mir weg und wich auch ein Stück weiter nach hinten, was mich etwas grinsen ließ. "Schon gut.", kicherte ich und krabbelte zurück auf meinen Platz, in der Hand ein köstlicher Hasenbraten am Spieß - in den ich genüsslich herein biss. Er war deutlich kleiner als mein Eigener, der nun an dem Platz ruhte, an dem Simons Spieß vorher gesteckt hatte. Mit etwas Glück fiel dieser kleine Tausch ja gar nicht auf.

Nico. Das war alles war der Junge von sich gab und mich eher etwas im Regen stehen liess. Wie das Mädchen setzte er sich an mein Feuer, als wäre es die grösste Selbstverständlichkeit. Oder war es die Not? Im Vergleich zu dem Mädchen sah er eher abgemagert und mitgenommen aus, führte aber ein Schwert bei sich. Das war meinem Bajonett überlegen. Mit einem hörbaren Seufzer setzte ich mich auf meinem Platz zurück und wollte mich wieder meinem Buch widmen, als das Mädchen Anstalten machte, mir näherzukommen. Ich wich jedoch etwas von ihr zurück und drehte das Buch so von ihr ab, dass man nicht lesen konnte, was darinstand. "Kein Tagebuch. Zumindest war es das zu Beginn nicht.", beantwortete ich ihre Neugierde. Seltsamerweise schien diese Antwort sie zufrieden zu stellen. Zwei Sekunden später fiel mir auch auf, warum das so war. "Leg das wieder zurück. Man vergreift sich nicht an fremden Sachen." Das war alles nur eine Täuschung gewesen, um an mein Fleisch ranzukommen. Sie machte einen überraschten Gesichtsausdruck und wedelte etwas mit dem Spieß in der Luft. "Wieso? Schmeckt lecker. Außerdem hast du doch jetzt das größere Stück.", kicherte das Mädchen, mir dabei zuzwinkernd. "Das du mit einem Stein bearbeitet hast und vermutlich erst in fünf Stunden gut durchgebraten ist…", maulte ich und verstaute Buch samt Stift, ehe ich die Hand ausstreckte. "Man kann auch um Hilfe bitte, schliesslich benutzt du ja schon mein Feuer." Doch meine Aufforderung mein Fleisch zurückzugeben, kam sie nicht nach, sondern biss ein weiteres Mal genüsslich ins Fleisch. "Ist ein freies Land ... glaube ich", erwiderte sie, den letzten Satz etwas zögerlich aussprechend. Mein Gesichtsausdruck verhärtete sich genervt. Wollte ich wirklich mit ihr argumentieren? Viel Einsicht scheint sie zumindest nicht zu zeigen. "Fein…" Ich griff nach ihrem Stück und begann mit dem Bajonett tiefe Schnitte ins Fleisch zu machen. Das dürfte helfen, den Inneren Kern besser zu erhitzen. "Was ist mit dir?", fragte ich den Jungen, der bisher eher still war.

Ich bekam schon mit was Kate machte, mischte mich aber nicht ein, war das doch nicht mein Problem. So wie ich scheinbar gedankenverloren den Blick über die Ruinen schweifen ließ wirkte ich sicher nicht aufmerksam. Dabei war gerade das meine Zeit, beginnende Nacht... wenn ich schlafen sollte, aber nicht konnte, nicht mehr als ein paar Stunden. Ruhig verfolgte ich das Gespräch, hörte zu und sammelte Informationen, wusste aber auch nicht so recht wie ich einsteigen könnte. Um Hilfe bitten war auch etwas neues, alles was mir bisher angeboten wurde falsch. Alles was ich wollte war Bianca zurück. Was mein Körper brauchte – Schlaf, Nahrung, Nähe – fiel immer wieder ein bisschen unter den Tisch, von der verborgenen Psyche ganz zu schweigen. „Ist doch nicht meins.“ entgegnete ich gefasst, die Schultern leicht hoch ziehend. Einfach nehmen würde ich es bestimmt nicht. Aber... ich brauchte es. Und vielleicht könnte ich auch am Feuer bleiben, etwas Glut mitnehmen, also bot ich fürs erste einen Deal an. „Wenn ich uns...“ mein Blick flackerte zu dem Mädchen, ein Glimmern sie ausschließend, kleine Lektion fürs Stehlen „...etwas zum Würzen und eine schnelle Beilage besorge, teilst du dann?“ Eine Frage. Ein Angebot. Und ich so ruhig wie es mir für Verhandlungen antrainiert wurde, nicht merken lassend ob mir eine Ausbildung überhaupt etwas ausmachen würde.

Frech grinste ich etwas, als Simon relativ schnell nachgab und biss ein weiteres, kleineres Stück vom Spieß ab. Der Junge wittmete seine Aufmerksamkeit dem Neuankömmling und ich schaute ihn kurz etwas ernster an. "Selbst mit dem Zahnstocher da, solltest du nicht unbedingt in dieser Ruine rumspazieren.", warnte ich ihn, dabei auf sein Schwert zeigend, ohne Ihnen meine Erkenntnisse mitzuteilen. Was ich vor der Ankunft hier am Feuer in den Ruinen gesehen hatte. Ein Lächeln schlich sich jedoch auf mein Gesicht und ich sprang auf, zu ihm herübergehend. "Aber da das Essen hier ohnehin schon mir gehört...", kicherte ich und drückte ihm den Spieß in die Hand. Die Hälfte an Fleisch war noch drauf. Als ich mich umdrehte, schenkte ich dem anderen Jungen noch ein kleines Grinsen und schwang mit meinem rechten Fuß den am Boden liegenden Stab in die Luft, ihn dabei elegant auffangend und über meine Schulter balancierend. "Zeit für ein Nickerchen." Ich platzierte den Stab zwischen ein paar stabilen Wurzeln, nur ein paar Meter vom Feuer entfernt, sodass dieser zusammen mit einer parallel laufenden Wurzel eine optimale Liegefläche bot, auf die ich mich auch ohne weiteres schwang. Die Arme hinter den Kopf gelegt, schlief ich zwar noch nicht ein, schloss jedoch die Augen und überlegte mir gedanklich die morgige Reiseroute. Angst ausgeraubt zu werden von den Beiden hatte ich jedenfalls nicht, denn abgesehen davon das sie dafür viel zu freundlich-naiv waren, gehörte mir ja noch nicht einmal die Kleidung, die ich trug. Und das war das wertvollste, was ich aktuell bei mir hatte.

Ich starrte dem Mädchen noch missfällig nach, liess sie aber gewähren und konnte am Ende nur den Kopf schütteln. Mit einem deutlich neutraleren Gesichtsausdruck widmete ich mich dem Jungen. Ich musterte ihn prüfend für wenige Sekunden. Er schien offenbar jünger zu sein und war etwas kleiner sowie schmaler als meine Wenigkeit. Obwohl ich mich auch täuschen konnte. Wie gut er wohl mit seiner Waffe umgehen konnte? "Lass ruhig.", meinte auch ich. "Wir haben mehr als genug zu Essen und zum Würzen habe ich das hier." Ich kramte kurz in einer meiner Seitentaschen, die an meiner Grundtrageeinheit befestigt war und überreichte ihm dann die kleine Dose Meersalz. "Ausserdem wird es langsam dunkel, da solltest du nicht mehr alleine unterwegs sein." Nun wandte ich mich wieder dem grösserem Stück Fleisch zu, um es über dem Feuer zu drehen, damit es von allen Seiten genug angebraten wurde. Als letzter ass ich daher. Viele Worte verlor ich dabei nicht, wenngleich ich keinen der beiden lange aus den Augen verlor. Besonders das Mädchen schien mir mehr Sorgen zu bereiten, als der Junge. Auch wenn der noch nicht viel von sich Preis gegeben hatte, was es schwierig machte, ihn wirklich einzuschätzen. Wie sagt man so schön, von einem Lügner weiss man zumindest, dass er lügt. Die Freundlichen sind die gefährlichsten und ich war hier noch immer in einer fremden Welt mit fremden Menschen.

Ein Zahnstocher war mein Schwert sicher nicht, wenn auch eigentlich nur zum Training, Holz ummantelt mit Metall, alle Kanten und Spitzen stumpf. Schwer genug Brüche hervorzurufen wenn richtig gehandhabt – was ich konnte – aber nicht tödlich. Bloß weil ich klein war und aussah als würde der Wind mich umwerfen können so konnte ich mich doch gut halten. Und wie Kate den Stab handhabte war genug Zeichen dass es bei ihr auch so aussah. Simon war noch schwerer einzuschätzen, aber ich ging davon aus dass er sein Rapier nicht zur Zierde hatte. Zumindest schien er offen dafür zu sein den Rest Fleisch zu teilen, ohne sofortige Gegenleistung. Es war ein Angebot gewesen und hätte er abgelehnt hätte ich sowieso nochmal losgemusst um mir etwas zu suchen. Leicht zog ich die Schultern hoch, machte mir um die Nacht keine Sorgen. „Ich bin oft nachts unterwegs.“ Alleine und doch nie allein, Biancas Schatten immer noch über mir liegend. Dennoch war da ein Schimmer Dankbarkeit in meinen Augen, darüber Wärme zu haben und etwas Fleisch zu essen. Nicht dass ich viel aß, gedankenverloren ins Feuer blickend. Aber gegen Ende schob ich dann doch still etwas aus meinem Vorrat mittig zwischen uns beiden Jungs – Bonbons. Eine handvoll von den guten aus meiner Heimat, die aus Fruchtsaft und Zucker die aussahen wie aus buntem Glas gegossen. Etwas das er sicher nicht hier finden würde. Sagen tat ich zwar nichts, blickte auch nur einen Moment zu Simon ehe mein Blick wieder zu wandern anfing, das Lächeln wenn überhaupt in meinen Augen, nicht auf dem Gesicht zu sehen.

Ihr Gespräch ruhig verfolgend, öffnete ich schließlich doch wieder meine Augen. Bei dem Lärm würde ich nicht schlafen können, weshalb ich es einfach nur dabei beließ mich etwas zu entspannen. Das die Beiden weiter über Essen debattierten fand ich ein wenig unfair. Ich hatte Simon sogar das größere Stück gegeben und die Hälfte von dem Kleineren ebenfalls weiter gegeben! Ohne mich wäre der Zahnstocherträger verhungert oder da draußen beim versuch was zu futtern zu finden verreckt!

Aber sei es drum, ich war nicht Kate Reece, wenn mich so ne Kleinigkeit aufregen würde. Weshalb ich nur etwas seufzte aufgrund des Lärms, schließlich aber zurück grinste, als Nico zu mir schaute. "Hast du etwa Angst im Dunkeln, Si-mo-n~?", fragte ich kichernd und betonte jede einzelne Silbe seines Namen mit voller Absicht. "Egal was im Dunkel lauert. Es sieht dich am Tag besser, als in der Nacht. Oder im Feuerschein da..." Ich machte eine kurze Pause. "Wobei ich es für wahrscheinlicher halte, das euer Lärmpegel uns heute abend alle umbringt. Also tut mir den Gefallen und lasst mich meine letzte Stunden mit schlafen verbringen...", erklärte ich seufzend und legte mich auf die Seite. Ich war eine furchtbar schlechte Gesprächspartnerin, wenn man mich nicht etwas explizit fragte. Den Drag nach etwas Trashtalk hatte ich schon ewig, aber vermutlich nur weil ich meine Kindheit weniger mit Reden, als mit Trainings verbracht hatte.

Erneut schloss ich die Augen, darauf hoffend endlich etwas Ruhe zu bekommen oder zumindest die Nacht zu überleben.

"Eher deine Nörgelei erhöht den Lärmpegel, Kate~.", erwiderte ich knapp und sprach ihren Namen ebenso sehr betont aus. Fügte aber nicht mehr hinzu und liess sie wieder alleine. Sobald ich jeden Rest des Fleisches verspeist hatte, warf ich die Überreste ins Feuer und leckte mit der Zunge über die Zähne, um sie zu polieren und zu reinigen. Schliesslich hatte sich noch hier und da ein Stück zwischen den Zähnen verfangen. Eine Mundspülung mit Wasser erledigte den Rest. Erst danach, vielen mir die Handvoll Bonbons auf, die der Junge zwischen uns beiden auf den Boden gelegt hatte. Ich war für einen kurzen Moment überrascht. Denn im Gegensatz zum Rest, sahen diese Dinger nicht fremd aus, sondern dass sie aus der derselben Welt stammen, woher ich komme. Konnte es sein, dass der Junge ebenso in diese Welt verschleppt wurde? Zögernd nahm ich eines der Süssigkeiten in die Finger. Das Süsse verschwand schnell im Mund, doch das Papier verweilte noch eine Weile in meinen Fingern und knisterte leise, während ich es betrachtete und glattstrich. "Nico, richtig? Bist du auch hier, aufgrund eines Neuanfangs?", fragte ich ihn leise, um Kate nicht zu stören. Ich gebe es zu, bei der Frage lehnte ich mich weit aus dem Fenster, doch wenn er ebenso aus der Welt kam, die ich kannte, dann wusste er, wovon ich redete. Oder passierte nicht jeden den Kopf aus Stein, wenn er hier in diese Welt eintrat?

Die übrigen Bonbons wanderten recht schnell zurück in meine Tasche, würde ich sie sicher nicht dem Wald überlassen wenn es das einzige aus der realen Welt war, was blieb. Vielleicht würde ich verschwinden, anfangen zu vergessen sobald alles was mitgekommen war ausgetauscht wurde, verloren ging. Sollte vielleicht auch so sein. Ein Übergang. Bei der Frage hatte ich schon wieder in den Himmel hinauf geblickt, dem Funkenflug folgend, wundernd über die anderen Sterne. „Nico di Tessaro“ bestätigte ich mit einem leichten Nicken, zeitgleich meinen vollständigen Namen anbietend. „Ich bin von einem Turm ge... fallen.“ Klang besser als gesprungen, selbst wenn es nicht ganz korrekt war, keins von beidem. Inwieweit dieser Neuanfang funktionieren sollte war an mir vorbei gegangen, hatte ich einfach zugestimmt weil alles besser war als der unveränderte Zustand. Und ein Teil von mir hatte gehofft Bianca zu finden, sei es nur ein Schatten von ihr.

"Lalalalala~", erwiderte ich nur provokant auf die Anschuldigungen seitens Simon, gab dann aber erstmal selbst Ruhe. Und auch wenn ich wieder so tat, als würde ich schlafen, hörte ich den Beiden durchaus zu - blieb mir ja auch nichts anderes übrig. "Da haben wir was gemeinsam. Du von einem Turm, ich von einem Trapez ... dummerweise ohne Sicherheitsnetz.", grummelte ich ungefragt, als Nico den Grund seines Erscheinens an den Nagel hing. Das erinnerte mich dunke daran, das ich diesem Tunichtgut von Henry ordentlich die Meinung geigen musste. Nicht nur das sein Modegeschmack völlig aus den Fugen geraten war, es war echt nicht cool mich hier stranden zu lassen mit nichts anderem als einem Haarband und ein Häschenkostüm. Glücklichweise konnte ich mir die paar Sachen hier "leihen". Plötzlich knackte etwas im Unterholz und alamiert schaute ich auf. Es war nichts zu sehen. Ich hörte ein Flüstern, unverständliche Worte im Wind. Von den Beiden schien das keiner mitzubekommen. Doch so schnell die Stimme aufgetaucht war, verschwand sie gleich wieder. In der Annahme verrückt geworden zu sein, legte ich mich wieder seufzend hin, ehe ein erschütterndes Brüllen die Erde um uns herum leicht zu vibrieren brachte. Diesmal war ich nicht alleine damit es zu bemerken. "Hätte ich gewusst, das ich hier nicht ein Auge zu bekomme, hätte ich ein Fünf-Sterne-Hotel gebucht ...", grummelte ich missmutig, die Umgebung im Augen behaltend. Fast erwartete ich, dass uns jederzeit ein wildes Tier anspringen könnte.

"Von einem Turm gefallen…ich verstehe.", meinte ich leise und versank in Gedanken, wobei ich noch einen weiteren grossen Schluck Wasser zu mir nahm. Dann schaltete sich unerwarteterweise wieder Kate ins Gespräch ein, die noch immer halb in der Wurzel eines grossen Baumes lag. Ich warf ihr über die Schulter einen Blick zu. Sie kam also von der realen Welt. "Dann schlägt ihr euch ebenso seit einer Woche durch diesen Urwald.", wandte ich mich wieder an Nico und gab ein gequältes Lächeln von mir. Zumindest hatte ich jetzt eine Gemeinsamkeit mit ihnen, was sie nicht zu komplett fremden Menschen macht. Was nicht heisst, dass ich gänzlich unvorsichtig sein sollte. Apropos Sicherheit, plötzlich durchdrang ein markerschütterndes Gebrüll durch die Nacht und der Boden begann schwach zu beben. Fast im selben Moment stand ich wieder auf den Beinen, hab meine Waffe aber noch nicht gezogen. "Tss...ruhe, sonst endest du gleich als Fünf-Sterne-Mahl.", zischte ich dem Mädchen zu und gab auch dem Jungen Handzeichen, dass er ruhig sein sollte. "Versteckt euch am besten etwas im Schatten, bis es näher ans Feuer tritt.", flüsterte ich leise und machte mich selbst daran, in der näheren Umgebung in Deckung zu gehen. Dabei spitze ich die Ohren, da meine Augen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen musste. Ich versuchte die anderen zwei im Auge zu behalten, hielt aber auch Ausschau nach dem Etwas, was hier so lauten Lärm gemacht hat. Auch wenn meine Muskeln angespannt waren, so bewahrte ich doch einen ruhigen Puls bisher.

Was die Gemeinsamkeit anging so schwieg ich, wollte nicht zugeben dass mein Fall kein Auftritt, keine Mutprobe, kein Unfall gewesen war. Konnte man sich vermutlich denken, fielen Leute doch nicht einfach so von Türmen – wobei ich auch verschwiegen hatte wie hoch es war und unter welchen Umständen. Simons Kommentar reichte mir schon um das ganze Thema weit abseits zu schieben, hatte ich doch immer noch das Gefühl gar nicht wirklich angekommen zu sein. Wo immer das Ziel auch sein sollte. Ich stimmte mit einem leichten Nicken zu dass auch ich seit etwa einer Woche hier herumwanderte. Eine Woche ohne Gespräche mit dem Meer. Meine Therapeuten würde das freuen. Bei dem Gebrüll zuckte ich zwar zusammen, stand aber nicht mal sofort auf, sondern ließ nur meinen Blick gezielter wandern. Mit Absicht hatte ich nicht direkt ins Feuer geblickt, war noch eingestellt auf die Nacht und im dunkeln nicht geblendet. Man wusste ja nie. Zudem mochte ich es nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein und Licht gehörte dazu. Erst bei Simons Anweisung richtete ich mich lautlos auf und schlich in einer Kurve in Richtung Waldrand, eine Hand auf dem Schwert und direkt eine Bewegungstaktik anwendend bei der ich zwischen den Schatten verschwand und alles zwischen mir und dem Feuer im Blick behielt, in die Dunkelheit mehr hineinhorchend. Menschenaugen waren nicht gemacht für die Nacht.

Anders als die Jungs schob ich weder Panik, noch machte ich Anstalten mich zu verstecken. Stattdessen kicherte ich etwas, als ich mir ihre Reaktionen ansah. "Habt ihr etwa Angst vor einem kleinen Raubtier? Ich hab schon ein Leben lang mit denen zu tun ... und solange man aufpasst was man tut, sind die völlig harmlos.", sprach ich in normalen Ton weiter. Natürlich war vorrausgesetzt, dass dieses Tier nicht komplett ausgehungert war. Ein ausgehungertes Tier, das durch reinen Überlebensinstinkt handelte, konnte niemand bändigen. "Und was versteckt ihr euch eigentlich? Raubtiere riechen euch ... die brauchen ihre Augen nicht." Plötzlich knarzte das Holz einer Wurzel, als etwas großes sich in den Raum hinein drückte. Es ähnelte ziemlich einem Jaguar, nur pechschwarz und mit Schulterhöhe nur ein Stückweit kleiner als Simon. Es schnupperte neugierig in der Luft und näherte sich dem Feuer, genauer gesagt den Spießen, an denen das Hasenfleisch hing. "Egal was ihr tut, keine hastigen Bewegung. Wenn es euch in die Augen schaut, schaut auf keinen Fall weg.", erklärte ich den Jungs in einem leisen Erzählton. Kein Flüstern, aber ich wollte das Wesen nicht aufschrecken. Mein Blick blieb selbst an dem großen Leib haften, wie es an der Feuerstelle herumschnüffelte und uns vorerst gänzlich ignorierte.

Das gewaltige Tier liess mich hörbar schlucken. Ein gewaltiger Leib, der nur von Muskeln strotzte und vermutlich Klauen, die so gross wie mein Bajonett waren, womit mich das Tier in der Luft hätte zerreissen können. Auf leisen Schritten machte ich ein weiter Bogen um das Raubtier zu Kate, das sich vorerst ums Feuer kümmerte und an unserem abgenagten Spiesen schnupperte. "Achja…was du nicht sagst.", flüsterte ich ihr angespannt zu. "Jetzt bist du auch noch ein Dompteur?" Das Mädchen war doch komplett irre. Zumindest der andere Junge schien die Gefahr zu respektieren. "Vielleicht hat es durch den Lärm noch jemand anderes aufgescheucht." Schliesslich war es um uns herum nicht still, sondern es raschelte verdächtig in den Blättern. Auffällige Geräusche, die mir vorhin nicht aufgefallen sind. Jemand schlich hier ebenso durchs Dickicht. "Also halt bitte den Mund…", raunte ich ihr abermals zu, als ich nun ganz in ihrer Nähe kauerte. Mein Blick huschte vom Raubtier zu den Schatten hinter uns. All diese Aufregung hätte ich mir heute Abend sparen können. Mit deutlich stilleren Handzeichen versuchte ich mit dem Jungen zu kommunizieren. Deutete mehrmals in den Wald hinein, wollte vermitteln, dass da was irgendwas ist und er still sein sollte. Der Jaguar hatte damit begonnen, die letzten Überreste mit einer rauen Zunge vom Holz zu lecken. Wie eine deutlich zu gross geratener Schmusekatze lag das Tier da und interessiert sich noch immer nicht für uns drei.

Angst hatte ich nicht, nur einen gesunden Respekt vor allem das in der Lage wäre mich leicht umzubringen oder zu verletzen. Verstecken war das auch nicht, würde ganz anders aussehen, ich nahm schlicht eine strategisch günstigere Position ein, leicht abseits von den anderen, abseits vom Licht um meine Augen zurück an die Dunkelheit zu gewöhnen, mit Bäumen im Rücken so dass nichts sofort von hinten kommen könnte. Ich hörte auf meine eigenen Erfahrungen und Instinkte, nicht die eines Mädchens bei dem kaum sicher war ob sie uns zwei nicht opfern würde um selber davon zu kommen. Simon hätte sich sein Gefuchtel aber auch sparen können, war mir schon bewusst dass da noch mehr im Wald sein könnte – und leise war ich sowieso. Ganz davon abgesehen das ich hier weiterhin der einzige mit einer nennenswerten Waffe war und auch die würde gegen alles was größer war als ich kaum etwas ausrichten. Jedenfalls blieb ich an meinem günstigem Punkt im Halbschatten zwischen großen Wurzeln, bereit zu rennen oder zu kämpfen, je nachdem was passierte.

"Kein Wunder bei eurem Techtelmechtel am Feuer...", erwiderte ich zurück, ebenfalls flüsternd, nachdem mir das Rascheln in den Büschen aufgefallen. Das große Tier war immer noch nicht auf uns aufmerksam geworden, erschreckender war jedoch, das es absolut keinen Respekt vor dem Feuer zu haben schien. Es umkreiste die Flammen ein paar Mal, schnupperte in der Luft herum und legte schließlich einfach daneben auf den Boden. Ein Problem weniger, auch wenn wir jetzt keinen Schlafplatz mehr hatten. Plötzlich knackte etwas ganz in unserer Nähe. Ein komplett schwarzer Kopf ragte aus den Ranken der Büsche hervor und für einen Moment bekam ich einen Schreck. Ein zweites Raubtier? Nein - dafür war der Kopf zu klein, die Ohren zu lang...und waren das Haare? Das Wesen blickte uns. "Psst, keinen Mucks. Folgt mir." Es konnte sprechen? Mit dem Stab etwas gegen meine Schläfe hauend um festzustellen, ob ich träumte, folgte ich der Anweisung. Ich war nie jemand gewesen der sich viel Gedanken um etwas machte, selbst wenn ich ein unwahrscheinliches Fabelwesen vor mir hatte. Außerdem schien dieses Ding uns von dem Raubtier wegführen zu wollen. Meine Hand griff nach Simon, in der Erwartung ihn mitzuziehen.

Schwarzes Wesen: