The Orphans

Wie eine wilde, farbenfrohe Bildergalerie zog die Umgebung an mir vorbei. Bäume, Gräser und riesige Felder. Ich hatte diesen Anblick fast vergessen, die Schönheit der Natur. Meine Finger spielten ungeduldig am Saum des Fensterrahmens, den Kopf gelassen an die Rückenlehne des Fahrzeugs gedrückt, der Blick fast schon gelangweilt an die Außenwelt gerichtet. Vielleicht hätte ich die Fahrt ja sogar genossen, wären die Umstände anders. Nicht nur, dass ich in einem enorm engen Humvee, einem Militärfahrzeug, sitzen musste, nein...der Anblick der Natur wurde immer wieder gestört von einem Ausmaß an Zerstörung, der mir nur allzu geläufig war. Fünfzehn Jahre dauerte der Krieg nun schon an, fünfzehn Jahre der Zerstörung, fünfzehn Jahre voller Verschwendung. Er war sogar älter als ich. Schon oft hatte ich darüber nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, das es Bedeutungslos war. Glaubte man der Geschichte, so wiederholte sich dieser Zyklus doch ohnehin alle paar Jahrzehnte. Der Menschheit konnte man lediglich zu gute halten, dass sie aus der Zerstörungskraft einer Atombombe aus dem zweiten Weltkrieg gelernt hatte. Andernfalls gäbe es wohl...

Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ein Knistern durch den Wagen hallte und kurz meine Aufmerksamkeit auf das vordere Abteil des Fahrzeugs zog. "Wir erreichen bald Canvas. Fahrzeug 2 übernimmt die Führung, wir decken die Südseite. Over." Der uniformierte Soldat am Steuer griff zum Funk und murmelte ein seufzendes "Verstanden" und wandte sich zu seinem Kollegen, der auf dem Beifahrersitz saß. "Warum schicken die uns soweit ins Landesinnere? Was haben uns schon diese Trickbetrüger an der Front genützt?" Der zweite Mann seufzte und zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber Befehl ist Befehl." Und damit war die Kommunikation auch schon wieder vorbei. Sie hatten auf der Fahrt ohnehin kaum gesprochen und ich tat es Ihnen gleich. Ob es mir zu tun hatte, konnte ich ja nur mutmaßen. Ob ich deswegen wütent war? Vielleicht. Aber die achtstündige Fahrt hatte selbst mich genug ermüdet, dass ich keinen Streit anfangen wollte.

Ich sah wieder aus dem Fenster, beobachtete wie ein Humvee uns vorbei ließ. Es war das einzige bewaffnete Fahrzeug des Konvoi's, denn obwohl das hier immer noch freundliches Gebiet war, so war die Westküste schon vor Jahren gefallen. Nie war eine Invasion auf die USA in einem der Weltkriege geglückt. Doch nun war das Anders, zum Leidwesen aller. Hinter uns gab es noch ein weiteres Fahrzeug, vermutlich mehr "Magier", die auf das Internat in Iowa geschickt wurden, um dort ihre Ausbildung fortzuführen. Aber wer würde schon einem einfachen Mädchen sensible Informationen oder gar Staatsgeheimnisse anvertrauen. Das Bild hatte sich geändert, keine Natur mehr, nur noch zerbombte Häuser, Trümmerhaufen, hin und wieder auch ein unversehrtes Gebäude. Die Überreste von Sternenbanner lagen zerfetzt hier und da auf den Boden, genauso wie diverse Propaganda Poster des US-Präsidenten Trump. Ein gnadenloser Mann, den die Welt unterschätzte. Wie so oft in der Geschichte.

Es wurde dunkel, als wir einen Tunnel passierten. Eine Unterführung. Das Fahrzeug wurde langsamer und als wieder Licht in die Seitenfenster fiel, kamen wir ganz zum stehen. Durch das vordere Fenster hatte ich einen hervorragende Aussicht auf die ehemalige Stadt "Waterloo", nun umgerüstet und umbenannt in "Camp Canvas". Es war ein Militärstützpunkt, wenn gleich es augenscheinlich immer noch viele Zivilisten hier waren. So sah es fast überall aus, niemand wollte freiwillig außerhalb der Städte ohne jeglichen Militärschutz verweilen. Es war immerhin kein offenes Geheimnis, das die Genfer Konvention mehr Richtlinien in einem wirklichen Krieg waren. So etwas wie Menschenrechte gab es nicht mehr. Die Familien ihrer Habseligkeiten beraubt, die Männer abgeschlachtet, Frauen missbraucht - das war die eigentliche Realität. Fünfzehn Jahre Krieg waren eine verflucht lange Zeit.

Nur mit halben Ohr hörte ich zu, wie ein Wachmann die Papiere des Fahrers überprüfte und uns anschließend durchwinkte. Der Durchgang war jedenfalls schwer bewacht, stationäre Geschütztürme, Soldaten in den Häusern, selbst ein M1 Kampfpanzer war auf den Tunnel gerichtet. Ein seltener Anblick, so viele Meilen von der Front entfernt. Wir fuhren weiter und je näher wir dem Stadtzentrum kamen, desso besser sahen die Gebäude aus und desso belebter wurde die Stadt. Man hatte versucht aufzubauen, was wieder aufzubauen ging, selbst wenn die Stadt nur noch ein fahler Beigeschmack seiner einstigen Größe war. Wir überquerten einen Fluss über eine Brücke, ehe es rechts in eine Seitenstraße ging, direkt auf einen gewaltigen Gebäudekomplex zu. Er war rings um mit Stacheldraht, gewaltigen Sandsackwällen und diversen Bunkern gesichert. Kein Anblick der mir neu wäre, immerhin waren Internate stehts gut gesichert, keiner kam rein, keiner raus, ohne das es der Internatsleiter wusste.

Vor einem etwas längeren Gebäude hielt der Humvee, die Soldaten stiegen aus und mir wurde die Tür geöffnet. "Wir sind da, steig aus.", richtete der Mann grob Anweisungen an mich, was ich nur zu gern befolgte. Auf der Fahrt waren wir vielleicht zwei Mal angehalten, weshalb ich die Gelegenheit nutzte mich endlich ausgiebig zu strecken. "Hier." Der andere Soldat stellte einen kleinen Reisekoffer mit Rädern neben mir ab. "Das selbe Spiel also, hm?", murmelte ich seufzend und nahm den langen Griff, um den Trolli zu ziehen. Im letzten Internat musste man auch zuerst zur Anmeldung, bekam seine Sachen und Uniform, ehe man dann weiter geschickt wurde. Ziemlich langweiliger Kram. Mein Blick wanderte kurz zu dem zweiten Wagen, nachdenklich...ich hatte schon ein seltsames Gefühl gehabt, als er auf halben Weg dazu gestoßen war. Vermutlich fantasierte ich nur, dennoch war ich neugierig, wer dort heraus kommen könnte.

Aufmerksam folgte mein Blick der vorbeiziehenden Landschaft, genau einprägend was sich wo befand, hasste das Ungewisse. Und die Kriegszerstörung ringsum war kaum etwas neues, dauerte er doch schon mein ganzes Leben an, ohne ein Ende in Sicht. Mein Blick erfasste den Wagen der uns überholte, ein komisches Gefühl auslösend, auch wenn es unmöglich war durch die verdunkelten Scheiben etwas zu erkennen. Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück, schloss einige Momente die Augen. Hier auf dem Rücksitz war es ruhig, hatte ich mehr Privatsphäre als manch anderswo und nach Monaten in Mehrbettzimmern mit beschränktem Ausgang waren ein paar Stunden davon ganz angenehm. Den wiederholten Hinweis des Fahrers ignorierend schnappte ich den Sicherheitsgurt auf und fläzte mich längst hin, Arme hinter dem Kopf verschränkt nachdem ich den beiden da vorne den Mittelfinger gezeigt hatte. Wir saßen seit Stunden gemeinsam hier drin, die wussten inzwischen dass sie mich gewaltsam fesseln und knebeln müssten damit ich still sitzen blieb. Was wiederum dazu führen dürfte, dass da zufällig einige größere Steine auf der Straße landen würden. Wir hatten das Spiel bereits durch. Aus denselben Grund war ich auf dem Weg in ein neues Internat, bewusst dafür sorgend dass mich ein weiteres rauswarf – ich hatte unseren Eltern nicht verziehen dass sie mich und Nora vor über 2 Jahren getrennt hatten und rebellierte seitdem systematisch. So viele Schulen fähig uns zu unterrichten gab es nicht und statistisch gesehen müssten wir irgendwann auf derselben landen.
Trotz meines Fehlverhaltens auf der Fahrt saß ich bei der Ausweiskontrolle aufrecht, lächelte, machte keinen Mucks und stieg auch flink aus als das Fahrzeug hielt, griff mir meine Tasche. Und ließ sie dann gleich wieder fallen als ich vor dem ersten Wagen tatsächlich jemanden entdeckte den ich mehr als nur kannte. Nora. Nichts hielt mich davon ab zu ihr zu rennen und ihr um den Hals zu fallen, sie fest an mich drückend. Sollten sie es doch versuchen. Zwischen uns beiden gab es nicht viel was stärker war. „Ich hab dich vermisst.“ wisperte ich. „Vereiste Rohre-Feuer legen-Dammbruch-Erdbeben-Fluchttunnel-Hungerstreik-vermisst“ Das letzte hatte mich ein bisschen knochig zurück gelassen, aber ich war nicht so blöd mich zu schwächen, nur genug um die Erwachsenen besorgt zu machen und ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.

Als sich die Türen des Fahrzeugs öffnete und ein bekanntes Gesicht heraustrat, musste ich schmunzeln. Den freien Arm, der zuvor noch in der Jackentasche ruhte, zog ich hervor um den anrauschenden Leib davon abzuhalten mich vor Freude umzuwerfen. Ich lachte etwas und drückte meinen Zwillingsbruder kräftig. "Ich hab dich auch vermisst." Wir hatten uns ewig nicht mehr gesehen. Wie lange war es nur her? Zwei, drei, vier Jahre? Ich hatte es fast schon vergessen, aber ihn sicher nicht. "Du bist größer geworden, Bruderherz.", bemerkte ich kichernd. Als wir uns das letzte Mal begegnet waren, war ich noch größer gewesen, doch mittlerweile überragte er mich fast einen halben Kopf. Ich löste mich aus der Umarmung und konnte ihn zum ersten Mal in Ruhe betrachten. Die Jahre hatten Spuren hinterlassen, aber damit war er wohl nicht alleine. Genau wie er, war auch ich etwas schmächtiger geworden und das nicht nur weil Krieg herrschte. Sicherlich wirkte ich mit meinem Look aber auch etwas weiblicher, hatte die Haare früher viel kürzer getragen und außerdem war ich genauso gealtert.

"Euch beiden Turteltauben stör ich ja nur ungern, aber wir haben besseres zu tun. Ihr könnt euch später noch genug ausquatschen." Mein Blick wanderte an Rico vorbei zu dem Soldat hinüber, den ich etwas scharmlos angrinste. Ein Funkeln war kurz in meinem Auge zusehen, ehe der Mann etwas überrascht aufschrie und sich mit der Hand auf die Uniform klopfte, genau an der Stelle, an der ich eine kleine Flamme erschaffen hatte. Sie war ungefährlich, aber belustigend, wie der Typ versuchte sie zu löschen. Sollte ihm besser eine Lehre sein. "Du musst mir alles erzählen!", grinste ich, ungeachtet dessen, dass man uns erwartete.

Sie hatte sich natürlich verändert, das war kein Wunder. Zeit war undankbar. „Hat ja nicht dich zur Orientierung.“ grinste ich nur, fuhr ihr aber dennoch sacht durch die Haare während sie mich betrachtete. Ihr geänderter Look störte mich kein bisschen, auch wenn es seltsam war. Als Kinder hatten wir alles getan gleich zu sein, unzertrennlich. Zwei Teile eines ganzen. Es half schon einfach nur wieder um sie zu sein, prägte ich mir ihr Gesicht deutlich ein um es ja nie wieder zu verlieren. Wobei ich mein Ziel hiermit vorläufig erreicht hatte, weniger Grund hatte so offensichtlich zu rebellieren wie vorher. Wir waren wieder zusammen.
Die Kommentare von früher hatte ich schon nahezu vergessen, schenkte ihnen kaum Beachtung – lachte aber auf als sie einen kleinen Feuertrick zeigte. Er sollte froh sein dass nicht ich eingegriffen hatte, denn dann wäre sicher mehr als nur eine Person in Mitleidenschaft gezogen worden. Eher der ganze Vorplatz. Mich bei ihr unter hakend, Finger verzweigend, zog ich sie sanft in Richtung meiner Tasche, den Erwartungen folgend weil es weniger Ärger bedeuten würde. Ich wollte nicht riskieren sie wieder zu verlieren. „Alles. Im Zimmer. Muss ja nicht jeder zuhören.“ Ein paar Jahre waren schwer aufzuholen aber wir waren erst angekommen, hätten so oder so Zeit zum einzuräumen. Die ich nicht dafür nutzen würde wenn Nora hier war. „Komm.“ Leicht nickte ich in Richtung der Soldaten. „Rico-Regeln. Halbe Stunde.“ Ob sie sich noch daran erinnerte? Das kleine Codewort für eine Auszeit bei der nur einer von uns führte – ich für Gehorsam und den Weg des geringsten Wiederstandes, sie für Spontanität und Rebellion. Es hatte nie Probleme gegeben, konnte sie doch ebenso ablehnen, obwohl es sich generell ausglich. Für den Moment war es das einfachste um dafür zu sorgen, dass wir beide etwas Ruhe zum Reden bekamen.

Ohne Widerstand ließ ich mich von ihm zu seiner Tasche ziehen, sorgte nur dafür, dass die freie Hand meinen Trolli zu packen bekam. "Du hast recht." Immerhin, jetzt wo wir wieder vereint waren, wollte ich auf keinen Fall das Internat abermals wechseln und dazu gehörte eben auch, dass die Anwärter hier so wenig wie möglich wussten. Immerhin hatte ich ziemlich viel auf dem Kerbholz und wie ich Rico kannte, ging es ihm ähnlich. Als er unsere "Heiligen Regeln" ansprach, musste ich etwas lachen. Natürlich hatte ich es nicht vergessen, man konnte sie annehmen oder ablehnen, doch einmal angenommen waren sie bindend. "Verstanden.", grinste ich, machte einen kleinen Handschwenk und der Funken an der Kleidung des Soldaten verflog auf der Stelle. Erleichtert atmete er aus und klopfte sich etwas den Ruß von der Uniform. Glücklich sah er nicht unbedingt aus, dennoch führten die vier Bewaffneten uns in das Gebäude, direkt in ein kleines Büro. Pässe wurden kontrolliert und Formulare ausgefüllt. Auch wenn ich darauf echt keine Lust hatte, ich respektiere die Rico-Regeln. "Um Punkt 10 Uhr schließt ihr euch dem Unterricht in Raum C13 des Schulungsgebäudes an. Colonel O'Neill wird sich dort euer annehmen. Die Rüstkammer findet ihr im Keller. Weggetreten." Und damit wurden wir fortgeschickt. Der Keller war nicht schwer zu finden und ehe wir uns versahen, befanden wir auch schon mit all unserer neuen Ausrüstung in unserem Zimmer. Ein kleiner Raum mit vier Betten, einem sehr großen Wandschrank und ein angrenzendes Bad. Ein Blick auf die Uhr verriet das wir noch gut eine dreiviertel Stunde Zeit hatten, bevor es zum Unterricht gehen würde. War wohl auch der Grund warum wir keine anderen Anwärter im Gebäude angetroffen hatten, war der normale Unterricht doch in der Vergangenheit immer schon in den frühen Morgenstunden angefangen.

Ich legte die Sachen seufzend neben der Tür ab und setzte mich auf eins der unbezogenen Betten. "Schätze besser vier, als acht Betten.", seufzte ich. Massenunterkünfte war ich ja gewohnt, dabei legte man auch die Scheu ab mit Jungen in einem Zimmer zu übernachten. Die Meisten waren ohnehin reif genug, und den Rest verbruzelte ich einfach solange, bis sie es kapiert hatten. "Wir haben noch gut Zeit.", bemerkte ich, legte den Trolli aufs Bett und begann damit meine Sachen aus- und in den Schrank wieder einzuräumen. "Also? Auf welchem Internat warst du? New York? Orlando?" Es gab insgesamt fünf Internate von denen ich wusste - die beiden aufgezählten, Canvas, Dallas, Nashville - auch wenn ich mir sicher war, das die Regierung einige verschwieg. Bevor ich hier her kam, hatte ich Canvas schließlich auch nicht gekannt. Die Beiden letzten hatte ich besucht, seit dem verachtete mich vermutlich ganz Dallas und Nashville war quasi eine Ruine. Ob sie es mittlerweile wohl wieder aufgebaut hatten? Ich hatte einige Wochen danach in Pittsburgh verbracht, ehe uns der Militärkonvoi schließlich hier her gebracht hatte.

Lächelnd nahm ich ihre Zustimmung zur Kenntnis, war das einchecken dank Gewohnheit schnell erledigt. Damit blieb uns dann auch etwas Zeit zu reden, darüber wie es uns ergangen war. Anders als Nora räumte ich meine Sachen nicht ein, sondern schob die Tasche schlicht halb unters Bett und ließ mich auf selbiges fallen. Rico-Regeln hieß auch dass keiner explizit gesagt hatte, dass wir jetzt einräumen mussten. Nach den ganzen Stunden wollte ich auch eigentlich eher schlafen. Vielleicht vorher duschen. Nora war da die Ausnahme deretwegen alles andere zurück stand. „Frisco. Denver. Atlanta. Bootcamp Alaska. Kommune in den Rockys. Neuzeitliches Kloster.“ listete ich auf. „Mönche sind furchtbar schwer aus der Ruhe zu bringen“ Da wieder rauszufliegen hatte einiges an mutwilliger Zerstörung gebraucht, hatte es mir irgendwo für das Gebäude auch leidgetan. Nur das meine Schwester wichtiger war, weswegen ich mich auch aufrappelte und von hinten erneut die Arme um sie schlang. „Geteiltes Bett heut?“ fragte ich murmelnd, wollte sie nach der langen Zeit kaum aus den Augen lassen. Nicht wenn ich sie als Ausgleich brauchte. Wie ich aussah, knochige Rippen und Narben hinter weiten Oberteilen und Bandagen versteckend, die Haare halb vorm Gesicht damit ich einfach den Kopf senken und die Welt ausschließen konnte, erzählte seine eigene Geschichte.

"Sind Mönche nicht total creepy? Ständig in Gebete vertieft und so still...", überlegte ich, ohne darauf jetzt eine Antwort zu erwarten. Kichernd stieß ich ihm aber etwas gegen die Seite. "Kein Wunder, dass du da reingesteckt wurdest.", witzelte ich und verstaute den Rest etwas unachtsam in der hintersten Ecke des Schrankes. Als mein Bruder mir plötzlich die Arme um mich schlang, verweilte ich ruhig und drehte den Kopf nach oben, sodass ich ihn gerade so sehen konnte. "Was sollen die Leute nur denken, wenn sie das sehen?", fragte ich grinsend und spielte dabei leicht verführerisch an einer Haarsträhne herum. "Aber wie gut, das mir deren Meinungen absolut Schnuppe sind." Mein Zeigefinger rutschte von den Haaren hoch zu seinem Kinn und stupste ihn dort leicht an. Rico war schon immer jemand gewesen, der viel Zuneigung brauchte. Ich war da schon etwas anders, was jedoch nicht hieß, das ich unsere gemeinsame Zeit nicht genoss. Vorsichtig löste ich mich aus der Umarmung und setzte mich auf das Bett. "Aber hey meine Reise war genauso spannend. In Dallas hab ich einen Tornado beschworen. Du hättest die Augen des Professeurs sehen müssen, als der Wind die komplette Französisch-Klausur in Fetzen gerissen hat!", lachte ich vergnügt. "Oder als ich in Nashville ein Treibstofflager angezündet hab. Ein gewaltiges Feuerwerk, ganz ohne magische Verstärkung." Sicher war das für die Anwärter und die Lehrkräfte nicht lustig gewesen, doch ich erzählte es wie ein tolles Abenteuer, dass jeder mal erleben musste.

Ich grinste schon bei ihren Kommentar, passte in ein Kloster durchaus ganz gut. Nur eben nicht ohne meine Zwillingsschwester, die so ziemlich die einzige war die mich einfach so anfassen konnte, mit einem gutem Effekt. Auf uns beide, war Nora doch nicht der Typ länger stillzuhalten, ließ ich sie deswegen auch gehen als sie sich aus meinem Griff wand. „Das sie uns gar nicht erst hätten trennen sollen?“ antwortete ich, ebenso unbekümmert was andere anging, setzte mich neben sie. „Kanns mir vorstellen – wie damals als ich den Zen-Garten umgestaltet habe.“ Unbeabsichtigt. Meine Geschichte kannte sie ja schon von meinen gewisperten Worten vorhin, lag mir auch nicht so viel daran Taten aufzuzählen. „Von dem Dammbruch hast du sicher gehört... und das Erdbeben war nur teilweise meine Schuld, was müssen die auch mitten auf einer Faultline bauen und mit so bröckeligem Stein statt Gussbeton“ Mich nahm es immer mit wenn meine Kräfte der einzige Ausweg waren, denn bei dem eher großflächigem Einsatz kamen nur zu oft Leute zu schaden, die gar nichts mit der Sache zu tun hatten.

"Sowas macht schnell die Runde. Aber keine Panik, die da oben können das gut vertuschen. Nur mich haben sie damit nicht überlistet.", bemerkte ich auf seine Schilderung hin, grinste weiterhin. Die Erwachsenen hatten schon oft versucht Rico's destructicen Fähigkeiten zu vertuschen. Sie machten lediglich den Fehler, mir dabei immer perfide in die Augen zu schauen - als hätte ich eine Mitschuld daran. Aber ich müsste mich bedanken, so wusste ich immerhin stets das mein Bruder noch lebendig und wohlauf war. "Jetzt wo wir zu zweit hier sind..." Ich streckte mich. "...wird der Unterricht sicher gleich viel weniger Eintönig. Ich wette, die Schüler hier sind genauso unfähig und arrogant wie an den anderen Internaten." Ich tippte etwas ungeduldig mit den Fingern auf dem Bett, ehe ich aufstand und mich zum Schrank drehte, ihn aufmachte. "Sag mal ... in diesen paar Jahren ... warst du da gezwungen jemanden ... umzubringen?" Ich warf einen ernstwirkenden Blick zurück. Er war viel rumgekommen, genauso wie ich. Während er antwortete oder sich seine Antwort zumindest zurecht legen konnte, nahm ich die schlichte grüne Uniform heraus und warf sie auf das Bett.

Es ging mir nicht mal darum ob alle Welt erfuhr was ich tun konnte, sondern dass ich es getan hatte, aus reinem Selbstnutzen in Kauf nahm andere zu verletzen. Nora war die einzige die mir die resultierenden Gedanken erfolgreich ausreden konnte, rein durch ihre Anwesenheit. „Der Unterricht wäre interessanter wenn du zuhören würdest“ neckte ich sie, wurde kurz darauf aber auch ernster. „Sie geben sich doch Mühe...“ Die anderen konnten kaum etwas dafür, dass wir besonders waren und das nicht im guten Sinne. Fähigkeiten mal abgesehen waren wir alle doch normale Menschen.
Ob ich jemanden umgebracht hatte war eine sehr direkte Frage, beantwortet mit Schweigen. Nur das Nora wusste wie viel mehr meine Stille tatsächlich ausmachte, wusste dass dazwischen ein kaum merkliches Nicken zu sehen war. Und dann war da die Tatsache dass ich die Knie anzog und meinen losen Poncho dichter um mich schlang, nicht gewillt das bisschen Komfort gegen eine Uniform einzutauschen in der man nur sehen würde wie schmächtig ich war.

Sein Schweigen war mir Antwort genug und ich wollte ihn mit diesem Gedanken nicht weiter quälen. Mein Blick wanderte kurz zum Bett. "Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.", erklärte ich leise. Diese Schüler führten hier vermutlich ein recht ansehnliches Leben, dachten nur weil sie Magier waren, machte es sie unbesiegbar. Die Welt tickte anders und das musste ich in den letzten Jahren lernen. Ich seufzte, klatsche kurz in die Hände, ehe ich mich mit einem Grinsen im Gesicht wieder umdrehte. "Und was heißt hier, es wäre interessanter wenn ich zuhöre? Das ist doch alles nur staubige Theorie.", nahm ich das Gespräch von davor wieder auf, um ein wenig das Thema zu wechseln. Mit einer flüssigen Bewegung fiel die Jacke zu Boden, gefolgt, von Shirt, Strümpfe, Schuhe und Rock, sodass ich nur noch in Unterwäsche im Raum stand und anfing an der Uniform herumzufummeln. Im Grunde sah ich unter der Kleidung immer noch aus wie früher, eine schöne reine Haut, kaum Makel und ich entwickelte mich, wie man es erwarten würde. Doch eins war neu, auf den ersten Blick nicht direkt zu erkennen, doch unterhalb des rechten Sport-BH-Trägers befand sich eine längliche dünne Narbe, die unter den Stoff führte. Die schlichte, enganliegende, grüne Hose war schnell angezogen. "Die sollten mal was gegen dieses geschmacklose Grün tun." Natürlich hätte ich auch warten oder die Uniform verweigern können, doch jetzt wo wir zusammen hier waren, wollte ich zumindest am ersten Tag einen nicht ganz so anstrengenden Eindruck hinterlassen.

Den Themenwechsel nahm ich dankend an, lächelte bei ihrem Kommentar und schüttelte schlicht leicht den Kopf. Ich sah schon, die Hausaufgaben würde ich wieder für zwei erledigen. Mein aufmerksamer Blick bemerkte die Veränderungen an ihr, die Narbe die ich nicht ansprach und auch dass sich unsere Körper weiter auseinander entwickelten. Früher hatten wir noch nahezu Rollen tauschen können, jetzt... ging das nicht mehr, ganz zu schweigen davon dass es seltsam war den Unterschied zu sehen. Mehr ihrem Beispiel folgend wechselte ich rüber auf mein Bett und kramte ein paar mehr konforme Sachen aus meiner Tasche. Selbe Hose wie sie. Ein langärmliges, schwarzes Shirt – nur kurz zögerte ich, fuhr über die Bandagen an meinen Unterarmen die ich nicht nur als ein Fashionstatement trug. Das würde noch Zeit brauchen bis es heilte und war auch eine sehr dumme Idee gewesen. Schlicht den Poncho zog ich wieder drüber, ergänze das ganze auch mit einer Fliegerbrille die ich nicht brauchte, die aber gut war um mich ein Stück weit vor der Welt zu verstecken. „Grün ist doch hübsch unaggressiv“ kommentierte ich, doch als Erdelement hatte ich da sicher Vorurteile, gehörten die grün und grau-blau Töne des Militärs zu meinem natürlichem Spektrum.

"Unaggressiv ist doch so reizlos. Rot strahlt Gefahr und Authorität aus.", erwiderte ich etwas gelangweilt, schnippte mit den Fingern und erschuf eine kleine Flamme, die sich sanft um meine Hand schlängelte. Sie erlosch, ehe ich mir das selbe schwarze Shirt wie Rico überstriff. Die schulterlangen Haare waren etwas im Weg, doch recht mühelos richtete ich sie wieder her. Schwarze Stiefel waren die letzten Kleidungsstücke, die ich anzog, ehe ich mich aufrichtete und den Stoff glattstriff. "Ich denke es wird Zeit unsere zukünftigen "Kameraden" kennen zu lernen, was?", erklärte ich wenig überzeugt und schritt zur Tür. Immerhin hatten wir jetzt nur noch knapp eine viertel Stunde und bis wir den Unterrichtsraum gefunden hatten würde sicher einige Zeit vergehen. Gelassen öffnete ich die Tür, die Hände lässig hinter den Kopf genommen, ohne wirklich Schreibutensilien oder Bücher dabei zu haben. Dieser ganzen Theoriequatsch interessierte mich nicht die Bohne. "Kommst du?", fragte ich meinen Bruder und hielt die Tür für ihn offen.

Mir war rot viel zu auffällig und ich wollte weder als Gefahr noch als Anführer gesehen werden. Aber da waren wir eben verschieden – so wie ich auch meine Elemente nicht einfach so herbeirufen konnte, sondern irgendwas davon im Umfeld brauchte. Erde war zwar überall vorhanden, weswegen ich auch dünne Stoffschuhe bevorzugte, lieber noch ganz barfuß, doch letzten Endes konnte man einzig Feuer tatsächlich heraufbeschwören. „Mhm“ stimmte ich zu, hoffte nur dass hier nicht eins dieser 'ein Raum = ein Team' Arrangements bestand, denn das würde spätestens beim Training interessant werden. Und nervig, für mich und Nora, wenn es hieß zu verbergen wer ich war. Zumindest einen Block und Kuli schnappte ich mir für den Unterricht, wusste dass das üblicherweise reichte. „Nein?“ antwortete ich der eher rhetorischen Frage ehe ich grinsend zuerst aus der Tür huschte.

Grinsend stieß ich etwas trotzig den Ellbogen in seine Seite, als er an mir vorbei ging. Nicht stark, lediglich als kleine Reaktion auf seine Antwort. Ich folgte ihm und schloss die Tür hinter uns. Der Ausgang der Wohnquartiere war schnell gefunden und wir hatten Glück, dass dort hinter einer Glasvitrine ein Plan der Anlage aufgestellt war. Andernfalls hätte es vermutlich Stunden gebraucht, bis wir alle Gebäude des Komplex nach Raum C13 abgesucht hätten. Tatsächlich war auf dem Innenhof nun mehr Betrieb. Soldaten in voller Montur liefen an den Seiten ihre Bahnen ab, während sich diverse Jugendliche vor den Eingänge der Gebäude aufhielten. Das Alter reichte hierbei von schätzungsweise zehn bis siebzehn Jahre. Viele der Älteren rauchten, während die kleineren ihr Pausenbrot aßen. Man war zum Glück nicht verpflichtet in der Mensa zu speisen, auch wenn man nur dort seine Verpflegung bekam. Wirklich Hunger hatte ich aber noch nicht. "Das ist ja noch schlimmer als ich dachte...", seufzte ich an Rico gewandt. Auf den ersten Blick war ja nichts auffälliges, doch man konnte auf dem Zweiten klar eine Gruppenbildung erkennen. Die Clownstruppe war auch schnell gefunden, machten sie sich doch gerade über einen Mitschüler lustig. Nun es war ja bekannt das ich Probleme mit solchen Leuten hatte und wären die Umstände anders, hätte ich deren Uniformen einfach in Brand gesteckt, doch ein Blick zu Rico ließ mich verstehen, das ich zumindest versuchen sollte mich am Riemen zu reißen. Gebäude C war das Kleinste, weshalb es nicht schwer war unseren Raum zu finden. Die Tür schien verschlossen und eine kleine Traube Jugendlicher saßen oder standen davor und unterhielten sich. Ich lehnte mich mit etwas abseits an eine Wand, denn als wir bemerkt wurden, durchlöcherten uns die Blicke gerade zu. "Du bist ein schlechter Einfluss für mich, wenn ich zu früh zum Unterricht komme...", murmelte ich an Rico gewandt.

Typisch fürs Militär waren die hier gut durchorganisiert, gab es Pläne für alles. Keine Möglichkeit 'Verlaufen' als Grund für eine Verspätung anzubringen. Ansonsten sah es ganz nach dem typischen Internatsleben aus, einschließlich Gruppen nach Interessen und Altersstufen. Das andere gepiesackt wurden passte mir genauso wenig, doch wir sollten uns für den Moment anpassen. Ich wollte nicht riskieren Nora wieder zu verlieren. Deswegen verzichtete ich auch darauf mir etwas zu essen zu holen, selbst wenn ich es vertragen könnte, schmächtig wie ich war. Die Angst dass sie wieder einfach weg sein könnte blieb. Mich neben sie an die Wand lehnend lachte ich leise. „Ah, stell dich lieber gut mit dem der zukünftig deine Hausaufgaben erledigt.“ Gegen die Blicke hatte ich meine ganz eigene Methode, starrte einfach zurück, einäugig da ich die Fliegerbrille halb übers Gesicht gezogen hatte, unnachgiebig bis sie den Blick zuerst abwanden.

Ich seufzte laut genug, dass es selbst die anderen Schüler mitbekamen. "Wie hab ich die letzten Jahre nur ohne dich überlebt ...", meinte ich erst ziemlich ernst klickend, dann das Ganze aber mit einem hämischen Grinsen untermalend. Mein Blick folgte schließlich seinem und ich musste es kichern, als ich merkte das Rico immer noch jeden Starrwettbewerb für sich entscheiden konnte. Natürlich konnte ich mithalten wenn ich wollte! Aber hin und wieder musste ich meinem Brüderchen ja auch seinen Triumph lassen. Nach einer ganzen Weile, in denen es nicht einer der Jugendlichen wagte sich uns auch nur um ein paar Meter zu nähern, ertönte ein künstlicher Gong durch eine Sprechanlage. Pünktlich auf die Sekunde stand plötzlich ein kräftiger Mann mittleren Alters in förmlicher Uniform vor der Klassentür und schloss sie auf. Sein Kopf zierte eine dunkelblaue Kappe, die selbe Farbe wie auch der Großteil seiner Uniform. Etliche Orden hingen an seiner Brust und auf den Manschetten an den Schultern konnte man klar seinen Rang ablesen: Colonel. Das Namensschild auf der anderen Seite der Brust konnte ich aus diesem Winkel nicht erkennen, wusste aus Erfahrung aber, das es dort sein musste. Vemutlich O'Neill wenn man dem Empfang glauben schenken konnte. Die Schüler gingen gesittet hinein und belegen ihre Plätze. Wir gingen als letztes Hinein, wurden jedoch wie erwartet aufgehalten. Der Mann wartete bis ruhig einkehrte, ehe er uns bedeutete uns vorne aufzustellen. "Das hier sind die Geschwister Harker. Sie sind fortan unserer Klasse zugeteilt. Percy, du zeigst den Beiden nach dem Unterricht die Anlage. Und nun setzt euch." Ein rothaariger Junge seufzte sichtlich, doch nicht laut genug aus Angst der Colonel könne es bemerken, wobei mir sicher war, das er es tat, es ihm lediglich egal war.